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BFH-Urteil vom 17.8.2010 (VIII R 42/07) BStBl. 2010 II S. 1041
Einschränkung des Schuldzinsenabzugs nach § 4 Abs. 4a EStG aufgrund von
Überentnahmen nur in den Vorjahren
Eine Hinzurechnung nicht abziehbarer Schuldzinsen aufgrund von Überentnahmen
nach § 4 Abs. 4a EStG ist auch dann vorzunehmen, wenn im
Veranlagungszeitraum keine Überentnahme vorliegt, sich aber ein Saldo
aufgrund von Überentnahmen aus den Vorjahren ergibt.
EStG i.d.F. des StBereinG 1999 § 4 Abs. 4a.
Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 19. Dezember
2006 11 5373/04 E (EFG 2007, 572)
Sachverhalt
I.
1
Die Beteiligten streiten um
die Hinzurechnung von Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a des
Einkommensteuergesetzes (EStG).
2
Der Kläger und
Revisionskläger (Kläger) ist Steuerberater und erzielt Einkünfte aus
selbständiger Arbeit. Seinen Gewinn ermittelt er seit 1996 durch
Bestandsvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG).
3
Zum 31. Dezember 1998 war
das Kapitalkonto negativ. In den Veranlagungszeiträumen 1999 bis 2001
erwirtschaftete der Kläger folgende Gewinne und tätigte folgende Einlagen
sowie Entnahmen:
4
5
Im Streitjahr 2001 betrugen
die betrieblichen, nicht auf Investitionsdarlehen entfallenden, Schuldzinsen
74.111 DM.
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Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ermittelte für das Streitjahr als
Bemessungsgrundlage für den Hinzurechnungsbetrag nach § 4 Abs. 4a EStG einen
Betrag von 81.804 DM. Für das Jahr 2001 ergab sich zwar eine Unterentnahme
in Höhe von 4.759 DM, aus den Vorjahren war jedoch eine verbleibende
Überentnahme in Höhe von 86.563 DM zu berücksichtigen. Den
Hinzurechnungsbetrag ermittelte das FA mit 4.908,24 DM und erhöhte die
Einkünfte des Klägers entsprechend.
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Das Finanzgericht (FG) wies
die nach erfolglosem Einspruchsverfahren dagegen erhobene Klage mit seinem -
in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 572 - veröffentlichten
Urteil vom 19. Dezember 200611 K 5373/04 E ab.
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Mit der Revision rügt der
Kläger, das FG habe § 4 Abs. 4a EStG fehlerhaft angewendet. Die
Voraussetzungen der Vorschrift seien nicht erfüllt, weil er im Streitjahr
keine Überentnahme getätigt habe. Im Übrigen sei die Vorschrift
verfassungswidrig. Sie verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes sowie
gegen das Übermaßverbot und enthalte eine unzulässige Typisierung.
9
Der Kläger beantragt, das
angefochtene Urteil des FG aufzuheben und den geänderten
Einkommensteuerbescheid 2001 vom 26. Juli 2005 dahingehend abzuändern, dass
die Einkommensteuer unter Berücksichtigung eines Gewinns aus selbständiger
Arbeit von 164.468 DM festgesetzt wird.
10
Das FA beantragt, die
Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
11
Die Revision ist unbegründet und deshalb
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
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1. Das FA hat zu Recht die von dem Kläger
erklärten Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Streitjahr um einen
Hinzurechnungsbetrag nach § 4 Abs. 4a EStG i.d.F. des
Steuerbereinigungsgesetzes 1999 - StBereinG 1999 - vom 22. Dezember 1999
(BStBl I 1999, 2601) - EStG 1999 - erhöht.
13
a) Das FG hat für den Senat bindend
festgestellt, dass sämtliche vom Kläger erklärten Schuldzinsen betrieblich
veranlasst waren. Danach ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der
Betriebsausgabenabzug aufgrund von Überentnahmen gemäß § 4 Abs. 4a EStG 1999
eingeschränkt ist (vgl. zur vorrangigen Veranlassungsprüfung einzelner
Zahlungsvorgänge Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. September 2005
X R 46/04, BFHE 211, 238, BStBl II 2006, 125; vom 21. Juni 2006 XI R 14/05,
BFH/NV 2006, 1832; vom 29. März 2007 IV R 72/02, BFHE 217, 514, BStBl II
2008, 420).
14
b) Zu Recht hat das FG die Vorschrift des §
4 Abs. 4a Satz 1 EStG 1999 auf die betrieblich veranlassten Zinsen des
Klägers angewendet.
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aa) Schuldzinsen sind nach § 4 Abs. 4a Satz
1 EStG 1999 nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt worden sind. Eine
Überentnahme ist in Satz 2 des § 4 Abs. 4a EStG 1999 definiert als der
Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des
Wirtschaftsjahres übersteigen. Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden
nach Satz 4 (nach der Änderung durch das Steueränderungsgesetz 2001 vom 20.
Dezember 2001, BGBl I 2001, 3794 - StÄndG 2001 -: Satz 3 der Vorschrift)
typisiert mit 6 v.H. der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der
Überentnahmen der vorangegangenen Wirtschaftsjahre und abzüglich der
Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die
Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen), ermittelt. Der
sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 4.000 DM (jetzt: 2.050
EUR) verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen
(sog. Sockelbetrag oder Mindestabzug), ist dem Gewinn hinzuzurechnen (Satz
5; jetzt: Satz 4). Der Abzug von Schuldzinsen für Darlehen zur Finanzierung
von Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des
Anlagevermögens bleibt nach Satz 6 (jetzt: Satz 5) unberührt.
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bb) Nach Ansicht des Klägers ist der
Begriff der Überentnahme abschließend durch Satz 2 der Vorschrift definiert.
Dieser sei auf das Wirtschaftsjahr bezogen. Falls im laufenden
Wirtschaftsjahr keine Überentnahme getätigt worden sei, sei auch der
gesetzliche Tatbestand des § 4 Abs. 4a EStG 1999 nicht erfüllt. Eine
Gewinnerhöhung komme danach nicht in Betracht, wenn im Wirtschaftsjahr eine
sog. Unterentnahme vorliege (so auch Schallmoser in Herrmann/Heuer/Raupach -
HHR -, § 4 EStG Rz 1051, m.w.N., sowie Rz 1068, 1070, m.w.N.).
17
cc) Gegen diese Ansicht spricht jedoch der
Wortlaut des Satzes 1, der den Regelungskern der Vorschrift bildet und durch
die nachfolgenden Sätze lediglich ergänzt wird. § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG 1999
spricht in der Mehrzahl von "Überentnahmen", enthält aber keine zeitliche
Zuordnung der Überentnahmen zu bestimmten Wirtschaftsjahren.
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Satz 4 der Vorschrift (jetzt: Satz 3) lässt
indes erkennen, dass die Regelung periodenübergreifend angelegt ist und
Schuldzinsen für Überentnahmen so lange nicht abziehbar bleiben sollen, bis
der Überhang an Überentnahmen durch Gewinne und Einlagen wieder ausgeglichen
ist. Diese periodenübergreifende Regelung greift auch dann ein, wenn im
Streitjahr selbst keine Überentnahmen gegeben sind; allerdings sind dann -
insoweit abweichend vom missglückten Gesetzeswortlaut - auch Unterentnahmen
des Streitjahres zu berücksichtigen (Nacke in Littmann/Bitz/Pust, Das
Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 4 Rz 1657c; Frotscher in Frotscher, EStG,
6. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 4 Rz 649; Seiler, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 Ea 86; Wendt, Finanz-Rundschau - FR -
2000, 417, 427 f.).
19
dd) Diese Auslegung wird durch den aus der
Entstehungsgeschichte ableitbaren Gesetzeszweck bestätigt. Der Gesetzgeber
wollte mit § 4 Abs. 4a EStG Gestaltungen in Form sog. Zwei- und
Mehrkontenmodelle entgegenwirken und entwickelte im Steuerentlastungsgesetz
1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402) zunächst ein
Zurechnungskonzept, nach dem nur die Entnahme von Liquiditätsüberschüssen
zulässig sein sollte. Mit dem StBereinG 1999 entschied sich der Gesetzgeber
dann jedoch für die jetzige Fassung. Sie basiert auf einem
Eigenkapitalmodell (vgl. zur Entstehung des § 4 Abs. 4a EStG Seiler, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 4 Ea 1 ff.; Blümich/Wied, § 4 EStG Rz
596 f.). Der Betriebsinhaber soll, wenn das Eigenkapital negativ ist, dem
Betrieb nicht mehr Mittel entziehen, als erwirtschaftet und eingelegt worden
sind (vgl. Meurer in Lademann, EStG, § 4 EStG Rz 656 k (1);
Schmidt/Heinicke, EStG, 29. Aufl., § 4 Rz 529; Blümich/Wied, § 4 EStG Rz
596; Nacke in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 4 Rz 1657b; Korn in Korn, § 4
EStG Rz 844.1; Frotscher in Frotscher, a.a.O., § 4 Rz 648; FG
Rheinland-Pfalz, Urteile vom 13. März 20036 K 2363/02, EFG 2003, 831, sowie
6 K 2364/02, juris). Maßgeblich für die Ermittlung der nicht abziehbaren
Schuldzinsen soll daher der jährlich fortzuschreibende Saldo aller Über- und
Unterentnahmen sein.
20
Die Regelung in Rdnr. 23, 24 des Schreibens
des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 17. November 2005 IV B 2 -S
2144- 50/05 (BStBl I 2005, 1019), wonach eine Überentnahme auch dann
vorliegt, wenn sich diese nur aus Überentnahmen vorangegangener
Wirtschaftsjahre berechnet, entspricht daher dem Gesetzeszweck und dem
möglichen Wortsinn des § 4 Abs. 4a EStG. Deshalb war der Gesetzgeber nicht -
wie der Kläger meint - gehalten, in einem nachfolgenden Steuergesetz den
Wortlaut der Vorschrift zu korrigieren.
21
ee) Die Vorschrift des § 4 Abs. 4a EStG
muss entgegen der Auffassung des Klägers nicht bei der Gewinnermittlung
durch Bestandsvergleich und der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG stets
zum gleichen Ergebnis führen. § 4 Abs. 4a EStG ist auch auf die
Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG anzuwenden. Durch die
unterschiedliche Gewinnermittlung ergeben sich in einzelnen Jahren
unterschiedliche Beträge. Daher sind beim Wechsel der Gewinnermittlungsart
anfallende Übergangsgewinne zu berücksichtigen (vgl. BMF-Schreiben in BStBl
I 2005, 1019 Rdnr. 8). Soweit ein Wahlrecht hinsichtlich der
Gewinnermittlung besteht, obliegt es dem Steuerpflichtigen, das für ihn
günstige Verfahren zu wählen.
22
2. Es bestehen auch keine durchgreifenden
verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG
(a.A. Söffing, Betriebs-Berater 2008, 417; Paus, FR 2006, 412; Horlemann,
Deutsches Steuerrecht - DStR - 2010, 726).
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a) Die Vorschrift ist formell
verfassungsgemäß. § 4 Abs. 4a EStG ist durch den Vermittlungsausschuss in
das EStG eingefügt worden. Durch das StÄndG 2001 hat der Gesetzgeber § 4
Abs. 4a EStG in Einzelfragen geändert und dadurch die Gesamtvorschrift in
seinen Willen aufgenommen. Das Demokratieprinzip in Gestalt des
Parlamentsvorbehalts wurde daher nicht verletzt (vgl. BFH-Urteil vom 21.
September 2005 X R 47/03, BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504; Schallmoser, FR
2001, 509, 511; Wendt, FR 2000, 417, 423; zum Bestätigungswillen bei
vorkonstitutionellen Gesetzen vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
vom 4. Juni 19851 BvL 14/84, BVerfGE 70, 126).
24
b) Auch materiell ist die Vorschrift
verfassungsgemäß. Sie ist unter dem Blickwinkel des Nettoprinzips
verfassungsrechtlich unbedenklich, da sie an Überentnahmen und somit an
private Ursachen anknüpft (vgl. BFH-Urteil vom 7. März 2006 X R 44/04, BFHE
212, 501, BStBl II 2006, 588; ebenso HHR/Schallmoser, § 4 EStG Rz 1037;
Frotscher in Frotscher, a.a.O., § 4 Rz 625; Blümich/Wied, § 4 EStG Rz 610;
Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 4 Rz 522).
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3. Schließlich bestehen auch gegen die
gesetzliche Typisierung der nicht abziehbaren Schuldzinsen mit 6 v.H. der
Überentnahmen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
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a) Der Kläger meint zu Unrecht, der
Gesetzgeber habe mit dem Gewinn den falschen Anknüpfungspunkt gewählt und
seine Typisierungsbefugnis überschritten.
27
Die jetzige Gesetzesfassung verzichtet aus
Praktikabilitätsgründen auf eine liquiditätsbezogene Betrachtung und knüpft
an den jeweiligen Bestand des vorhandenen Eigenkapitals an, der
grundsätzlich steuerunschädlich entnommen werden darf (vgl. BFH-Urteile in
BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504; vom 21. September 2005 X R 40/02, BFH/NV
2006, 512; a.A. Horlemann, DStR 2010, 726). Diese Anknüpfung ist
sachgerecht, weil das Eigenkapital die im Betrieb erwirtschafteten Mittel
abbildet, die für eine Entnahme zur Verfügung stehen.
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b) Der Kläger macht ferner geltend, es
fehle die Möglichkeit einen Gegenbeweis zu führen, dass die durch Entnahmen
ausgelösten Zinsen tatsächlich niedriger sind (vgl. HHR/ Schallmoser, § 4
EStG Rz 1037, 1069; Schneider/Petrak, Die Wirtschaftsprüfung 2006, 1105,
1109).
29
Das FG hingegen sieht zu Recht die
Typisierung vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst. Der vom
Gesetzgeber gewählte Zinssatz ist nicht überhöht und die Typisierung dient
in erster Linie einem Vereinfachungszweck. Insbesondere erspart sie dem
Steuerpflichtigen wie der Finanzverwaltung eine genaue umfangmäßige und
zeitanteilige Zuordnung der angefallenen Zinsen, die sich letztlich nur bei
einer liquiditätsbezogenen Betrachtungsweise leisten ließe. Die Typisierung
erweist sich daher als technische Folge der praktikableren kapitalbezogenen
Sichtweise (vgl. Seiler, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., § 4 Ea 83;
Tipke, Die Steuerrechtsordnung Band I, 2. Aufl. 2000, § 7 S. 356 unten;
Wendt, FR 2000, 417, 427; Frotscher in Frotscher, a.a.O., § 4 Rz 654).
Unbillige Ergebnisse sind im Einzelfall nach § 163 der Abgabenordnung zu
korrigieren.
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