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BFH-Urteil vom 22.6.2010 (VIII R 38/08) BStBl. 2010 II S. 1017
Wirksamkeit einer Klage mit eingescannter Unterschrift
Eine mit eingescannter Unterschrift des Prozessbevollmächtigten durch
Telefax eingelegte Klage entspricht jedenfalls dann den
Schriftformanforderungen des § 64 Abs. 1 FGO, wenn sie von dem
Bevollmächtigten an einen Dritten mit der tatsächlich ausgeführten Weisung
gemailt wird, sie auszudrucken und per Telefax an das Gericht zu senden.
FGO § 64.
Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG vom 5. März 2008 2 K 202/06 (EFG
2009, 427)
Sachverhalt
1
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wendet sich gegen
Einkommensteueränderungsbescheide für die Jahre 1991 und 1992, mit denen
insbesondere seine vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -)
geschätzten Einkünfte aus Kapitalvermögen der Besteuerung unterworfen
wurden. Die dagegen eingelegten Einsprüche wies das FA mit
Einspruchsentscheidungen vom 17. bzw. 18. Oktober 2006 als unbegründet
zurück, nachdem es die angefochtenen Einkommensteuerbescheide zuvor unter
Ansatz niedrigerer Einkünfte aus Kapitalvermögen geändert hatte.
2
Dagegen hat der Kläger Klage erhoben und nach den tatsächlichen
Feststellungen des Finanzgerichts (FG) in der mündlichen Verhandlung
erklärt, dass die Klageschrift durch seinen früheren Berater erstellt, per
Mail an einen Mitarbeiter des Beraters mit der eingescannten Unterschrift
des Beraters übermittelt, von dem Mitarbeiter ausgedruckt und sodann per Fax
- innerhalb der Klagefrist - an das Gericht übersandt wurde.
3
Das FG wies die Klage als unzulässig ab, weil die per Fax übermittelte
Klageschrift wegen der nur eingescannten Unterschrift des früheren Beraters
nicht über die nach § 64 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erforderliche
Schriftform verfüge.
4
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 64 FGO.
5
Zu Unrecht habe das FG die mit eingescannter Unterschrift erhobene Klage als
nicht formgerecht angesehen, nachdem der Gemeinsame Senat der Obersten
Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB) mit seiner Entscheidung vom 5. April 2000
GmS-OGB 1/98 (Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 2000, 1089)
entschieden habe, bestimmende Schriftsätze könnten formwirksam durch
elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift des
Prozessbevollmächtigten auf ein Faxgerät des Gerichts übermittelt werden.
Auch diese Form erfülle den Zweck des Schriftlichkeitsgebots, hinreichend
sicher den Inhalt der Erklärung und die Person des Erklärenden auszuweisen.
Maßgeblich für die Beurteilung der Wirksamkeit des elektronischen
Schriftsatzes sei nämlich nicht - wie der GmS-OGB ausdrücklich ausgeführt
habe - eine etwa beim Absender vorhandene Kopiervorlage oder eine nur im PC
des Absenders vorhandene Datei, sondern allein die auf seine Veranlassung am
Empfangsort (Gericht) erstellte körperliche Urkunde.
6
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den
Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG
zurückzuverweisen.
7
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
8
Es trägt vor, dass die Entscheidung des GmS-OGB zur Übersendung bestimmender
Schriftsätze per Computerfax ergangen sei und nach dem Beschluss des
Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10. Oktober 2006 XI ZB 40/05 (MDR 2007, 481)
auf die Übertragung solcher Schriftsätze durch "normales" Fax nicht
übertragen werden könne. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe die
Verfassungsbeschwerde gegen die BGH-Entscheidung mit Beschluss vom 18. April
20071 BvR 110/07 (juris) nicht angenommen. Auch der Bundesfinanzhof (BFH)
habe mit Beschluss vom 10. Juli 2002 VII B 6/02 (BFH/NV 2002, 1597) an dem
Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift bei Klageerhebung durch Telefax
festgehalten.
Entscheidungsgründe
II.
9
Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die
Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§
126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
10
Zu Unrecht hat das FG die fristgerecht bei Gericht eingegangene Klage mit
der Begründung als unzulässig angesehen, sie weise eine nur eingescannte
Unterschrift des früheren Klägervertreters auf.
11
1. Nach § 64 Abs. 1 FGO ist den formellen Anforderungen an eine
finanzgerichtliche Klage genügt, wenn sie bei dem Gericht schriftlich oder
zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben wird.
12
a) Nach ständiger Rechtsprechung soll die Schriftform gewährleisten, dass
der Inhalt der Erklärung und die erklärende Person hinreichend zuverlässig
festgestellt werden können. Des Weiteren soll das aus dem
Schriftformerfordernis abgeleitete Gebot einer Unterschrift des Erklärenden
sicherstellen, dass das Schriftstück keinen Entwurf betrifft, sondern mit
Wissen und Wollen des Erklärenden an das Gericht gesandt wurde (vgl.
GmS-OGB, Beschluss vom 30. April 1979 GmS-OGB 1/78, Neue Juristische
Wochenschrift - NJW - 1980, 172; BFH-Urteil vom 29. August 1969 III R 86/68,
BFHE 97, 226, BStBl II 1970, 89; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 5.
November 1973 GrS 2/72, BFHE 111, 278, BStBl II 1974, 242; BFH-Urteil vom
17. Dezember 1998 III R 101/96, BFH/NV 1999, 967; BFH-Beschluss in BFH/NV
2002, 1597).
13
b) Dieses Unterschriftserfordernis ist gewahrt, wenn ein Rechtsbehelf oder
ein anderer sog. bestimmender Schriftsatz nach Maßgabe des § 126 Abs. 1 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs von dem Rechtsbehelfsführer bzw. Verfasser oder
seinem jeweiligen Verfahrensbevollmächtigten (BFH-Urteil vom 18. Mai 1972 V
R 149/71, BFHE 106, 7, BStBl II 1972, 771) eigenhändig - handschriftlich -
unterschrieben (vgl. BFH-Urteile in BFHE 97, 226, BStBl II 1970, 89; vom 7.
August 1974 II R 169/70, BFHE 113, 490, BStBl II 1975, 194; BFH-Beschlüsse
vom 24. Januar 1994 V R 137/93, BFH/NV 1995, 312; vom 15. Januar 2002 X B
143/01, BFH/NV 2002, 669) und mit einer solchen Unterschrift vor Ablauf der
Klagefrist bei Gericht vorgelegt wurde (vgl. §§ 47 Abs. 1, 116 Abs. 2, 120
Abs. 1, 129 Abs. 1 FGO; BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1597).
14
c) Diese Anforderungen - auch hinsichtlich der eigenhändigen Unterschrift -
gelten grundsätzlich gleichermaßen für bestimmende Schriftsätze, die dem
Gericht per Telefax übermittelt werden.
15
aa) Dem Unterschriftserfordernis genügt allerdings bei Schriftsätzen von
Behörden, Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts eine
maschinenschriftliche Unterzeichnung mit handschriftlichem
Beglaubigungsvermerk auch ohne Dienstsiegel (vgl. GmS-OGB, Beschluss in NJW
1980, 172).
16
bb) Darüber hinaus bedarf es nach ständiger Rechtsprechung keiner
eigenhändigen Unterschrift, wenn der jeweilige bestimmende Schriftsatz durch
Telegramm, Fernschreiber, Telebrief, Telekopie oder Bildschirmtextmitteilung
übermittelt wird (vgl. § 130 Nr. 6 der Zivilprozessordnung - ZPO -;
BFH-Beschlüsse vom 21. Juni 1968 III B 36/67, BFHE 92, 438, BStBl II 1968,
589; vom 22. März 1983 VIII B 117/80, BFHE 138, 403, BStBl II 1983, 579;
BFH-Urteil vom 3. Oktober 1986 III R 207/81, BFHE 148, 205, BStBl II 1987,
131).
17
cc) Auch die Übermittlung der Klageschrift per Computerfax ist ohne
Unterschrift wirksam, weil bei dieser Form auf der Seite des Absenders kein
körperliches Schriftstück existiert. Infolgedessen genügt es für die
Wirksamkeit einer derart erhobenen Klage, dass sich aus dem Schriftsatz
selbst oder den Begleitumständen die Urheberschaft und der Wille, das
Schriftstück in den Verkehr zu bringen, hinreichend sicher ergeben
(BFH-Beschluss vom 11. November 1997 VII B 108/97, BFH/NV 1998, 604;
Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 5. März 20082 K 202/06,
Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2009, 427; FG München, Urteil vom
26. November 20071 K 2342/07, juris).
18
Davon unberührt bleibt die Möglichkeit, eine Klage durch ein elektronisches
Dokument i.S. des § 52a FGO mit den dort spezialgesetzlich geregelten
besonderen Anforderungen, nämlich unter Angabe des Namens des Klägers sowie
einer qualifizierten elektronischen Signatur nach § 2 Nr. 3 des
Signaturgesetzes zu erheben (s. § 52a Abs. 1 Satz 3 FGO; BFH-Urteil vom 18.
Oktober 2006 XI R 22/06, BFHE 215, 47, BStBl II 2007, 276; FG Münster,
Urteil vom 23. März 200611 K 990/05 F, EFG 2006, 994; zur Notwendigkeit
einer solchen qualifizierten Signatur als Wirksamkeitsvoraussetzung
elektronischer bestimmender Schriftsätze nach - dem § 52a FGO entsprechenden
- § 130a ZPO s. BGH-Beschluss vom 14. Januar 2010 VII ZB 112/08, MDR 2010,
460).
19
dd) Wird die Klage - wie im Streitfall - per Telefax erhoben, muss sie
allerdings grundsätzlich eigenhändig unterschrieben sein (BFH-Urteile vom
28. November 1995 VII R 63/95, BFHE 179, 5, BStBl II 1996, 105; vom 16.
Februar 2005 VI R 66/00, BFH/NV 2005, 1120; BFH-Beschlüsse vom 26. März 1991
VIII B 83/90, BFHE 163, 510, BStBl II 1991, 463; vom 12. April 1996 V S
6/96, BFH/NV 1996, 824; vom 19. Mai 2000 VIII B 13/00, BFH/NV 2000, 1358; in
BFH/NV 2002, 1597; BGH-Beschluss vom 11. Oktober 1989 IVa ZB 7/89,
Wertpapier-Mitteilungen 1989, 1820). Das Fehlen der Unterschrift ist
indessen unschädlich, wenn das Telefaxformblatt unterschrieben ist, mit der
Klageschrift eine Einheit bildet, die Person des Absenders vollständig
bezeichnet und kein Zweifel daran besteht, dass die Kopiervorlage
ordnungsgemäß eigenhändig unterzeichnet wurde (BFH-Beschluss vom 31. März
2000 VII B 87/99, BFH/NV 2000, 1224).
20
d) Ob das danach für bestimmende Schriftsätze grundsätzlich bestehende Gebot
"eigenhändiger Unterschrift" auch durch eine eingescannte Unterschrift - wie
im Streitfall - gewahrt wird, wird nicht einheitlich beurteilt.
21
aa) Für die vergleichbare Form der Unterschrift durch Verwendung eines
Faksimilestempels hat die ältere BFH-Rechtsprechung grundsätzlich die
Wirksamkeit der Erklärungen verneint (BFH-Urteile in BFHE 97, 226, BStBl II
1970, 89; in BFHE 113, 490, BStBl II 1975, 194; ebenso Bundesarbeitsgericht
- BAG -, Urteil vom 5. August 200910 AZR 692/08, NJW 2009, 3596; vgl. aber
BFH-Urteil vom 19. September 1974 IV R 24/74, BFHE 113, 416, BStBl II 1975,
199 zur Wirksamkeit einer Klageschrift in Form eines Matrizenabzugs und
damit nur auf der Matrize im Original enthaltenen Unterschrift).
22
bb) Nach der zu einer Klageerhebung durch Computerfax ergangenen
Entscheidung des GmS-OGB erfüllt eine eingescannte Unterschrift dagegen das
Schriftformerfordernis (vgl. GmS-OGB, Beschluss in MDR 2000, 1089). Sie
erfüllt nämlich gleichermaßen den schon in der früheren Rechtsprechung des
GmS-OGB bezeichneten ausschließlichen Zweck des Schriftlichkeitsgebots,
zuverlässig den Erklärungsinhalt sowie die erklärende Person und ihren
unbedingten Willen zur Absendung feststellen zu können (GmS-OGB, Beschluss
in NJW 1980, 172; vgl. hierzu auch die Entscheidungen des BFH in BFHE 138,
403, BStBl II 1983, 579, und vom 13. Dezember 1984 IV R 274/83, BFHE 143,
198, BStBl II 1985, 367).
23
cc) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des GmS-OGB, deren Grundlage
durch die Regelungen in den §§ 52a FGO, 130a ZPO nicht berührt wird, weil
die damit geschaffenen Sondervorschriften für den elektronischen
Rechtsverkehr unabhängig neben die Vorschriften zur Schriftform getreten
sind (vgl. BAG-Urteil in NJW 2009, 3596; BGH-Beschluss vom 15. Juli 2008 X
ZB 8/08, NJW 2008, 2649), hat die Rechtsprechung
- die Einlegung eines Rechtsbehelfs per E-Mail mit eingescannter
Unterschrift (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteile
vom 13. September
- den Widerruf eines gerichtlichen Vergleichs in derselben Form
(Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 9. August 20055 Sa
363/04, juris) sowie
- die Einlegung eines Rechtsbehelfs (BGH-Beschluss in NJW 2008, 2649;
Landesarbeitsgericht Bremen, Urteil vom 10. August 20041 Sa 165/03, juris;
Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 14. November 2005 I-9 U 30/05,
juris)
für formwirksam erachtet.
24
2. Im Einklang mit dieser Rechtsprechung ist entgegen der Vorinstanz auch
für den Streitfall von einer formwirksamen Klageerhebung innerhalb der
Klagefrist auszugehen.
25
Die Auffassung der Vorinstanz, das Schriftformerfordernis nach § 64 FGO sei
im Streitfall durch den per Telefax übersandten Schriftsatz mit
eingescannter Unterschrift nicht gewahrt, teilt der Senat nicht.
26
Geht man nämlich von der Richtigkeit des unter Beweis gestellten und vom FG
nicht in Zweifel gezogenen Klagevortrags aus, dass der frühere Berater des
Klägers den Klageschriftsatz mit der eingescannten Unterschrift gefertigt
und einem seiner Mitarbeiter zur (tatsächlich erfolgten) Übersendung an das
Gericht übermittelt hat, erfüllt die innerhalb der Klagefrist bei Gericht
per Fax eingegangene Klageschrift mit der eingescannten Unterschrift des
früheren Klägervertreters das Schriftformerfordernis nach § 64 FGO.
27
a) Es muss nämlich nach dem ausschließlichen Zweck des
Schriftlichkeitsgebots, zuverlässig den Erklärungsinhalt sowie die
erklärende Person und ihren unbedingten Willen zur Absendung feststellen zu
können (Beschluss des GmS-OGB in NJW 1980, 172), schon dann als die
Schriftform wahrend angesehen werden, wenn der abgegebenen Prozesserklärung
- wie hier - nach den Gesamtumständen aus der maßgeblichen Sicht des
Gerichts deren Inhalt sowie der Erklärende und dessen unbedingter
Erklärungswille zu entnehmen sind. Ein darüber hinausgehender Zweck kommt
dem Schriftformerfordernis ebenso wie anderen Verfahrensvorschriften nämlich
nicht zu. Insbesondere soll es ebenso wie andere Verfahrensvorschriften nur
die einwandfreie Durchführung des Rechtsstreits unter Wahrung der Rechte
aller Beteiligten sicherstellen und nicht behindern (Beschluss des GmS-OGB
in MDR 2000, 1089).
28
b) Maßgeblicher Zeitpunkt für die erforderliche Feststellung, ob und wann
eine Klage mit welchem Inhalt und von wem - unbedingt - eingelegt worden
ist, ist ebenso wie für andere Sachurteilsvoraussetzungen der Zeitpunkt der
gerichtlichen Entscheidung, im Streitfall mithin der Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung (vgl. BFH-Urteile vom 23. April 1985 VII R 109/80,
BFH/NV 1987, 304: "... in jeder Lage des Verfahrens - auch vom
Revisionsgericht - zu überprüfen"; vom 14. Mai 1987 X R 51/82, BFH/NV 1988,
96; vom 17. Oktober 1990 I R 118/88, BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242). In
diesem Zeitpunkt ist ggf. zur Feststellung der Sachurteilsvoraussetzungen -
auch hinsichtlich der "Schriftlichkeit einer Klageerhebung" - im
Zweifelsfall durch das erkennende Gericht Beweis zu erheben (vgl. BFH-Urteil
vom 29. April 1993 IV R 26/92, BFHE 171, 1, BStBl II 1993, 720).
29
c) Auf dieser Grundlage ist dann, wenn die Klageschrift entsprechend dem
unter Beweis gestellten, aber vom Gericht ersichtlich nicht für
beweisbedürftig gehaltenen Vortrag des Klägers tatsächlich
- durch den früheren Berater erstellt,
- von dessen Mitarbeiter ausgedruckt und sodann
- weisungsgemäß per Fax - innerhalb der Klagefrist - an das Gericht
übersandt wurde,
die Rechtsauffassung der Vorinstanz, nur wegen der eingescannten
Unterschrift sei die Klage nicht formgerecht eingelegt worden, mit der
BFH-Rechtsprechung zu § 64 FGO unvereinbar.
30
aa) Danach kann dem Zweck des § 64 Abs. 1 FGO auch auf andere Weise
entsprochen werden als durch eigenhändige Unterzeichnung des maßgebenden
Schriftstückes durch den Verfasser (s. hierzu auch die BFH-Urteile vom 18.
Mai 1972 V R 1/71, BFHE 106, 4, und vom 27. Juli 1977 I R 207/75, BFHE 123,
286, BStBl II 1978, 11). So kann sich selbst aus einem nicht
unterschriebenen bestimmenden Schriftsatz in Verbindung mit weiteren
Unterlagen oder Umständen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in
den Rechtsverkehr zu bringen, hinreichend sicher ergeben (ständige
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. Urteile vom 17. Oktober
1968 II C 112.65, BVerwGE 30, 274; vom 7. November 1973 VI C 124.73,
Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1974, 174, und vom 20. April 1977 VI
C 26.75, Verwaltungsrechtsprechung 29, 764; zusammenfassend Beschluss vom
26. Juni 19807 B 160.79, juris). Dementsprechend hat auch der BFH eine nur
maschinenschriftlich unterschriebene Klageschrift wegen der auf den
Streitfall bezogenen Klagebegründung und beigefügter Vorkorrespondenz in
Verbindung mit dem Briefkopf des Einsenders nach den Gesamtumständen als
formwirksam i.S. des § 64 Abs. 1 FGO angesehen (BFH-Urteil in BFHE 148, 205,
BStBl II 1987, 131). Danach kann gleichermaßen in finanzgerichtlichen
Verfahren dem Zweck des § 64 Abs. 1 FGO in anderer Weise als mit der
eigenhändigen Unterzeichnung bestimmender Schriftsätze durch den Verfasser
entsprochen werden, wenn feststeht, dass das Schriftstück keinen Entwurf
betrifft, sondern dem Gericht mit Wissen und Wollen des Berechtigten
zugeleitet worden ist (BFH-Beschluss vom 17. August 2009 VI B 40/09, BFH/NV
2009, 2000 unter Bezugnahme auf BFH-Beschluss vom 31. März 2000 VII B 87/99,
BFH/NV 2000,
31
bb) Nach diesen Grundsätzen kann im Streitfall die Wirksamkeit der
Klageerhebung nicht verneint werden, weil sie zum einen den Erklärungsinhalt
sowie die erklärende Person ausweist und zum anderen ihre Absendung aufgrund
der in der mündlichen Verhandlung erklärten Umstände ersichtlich auf dem
unbedingten Willen des früheren Klägervertreters beruhte (zu diesen
Anforderungen s. Beschluss des GmS-OGB in NJW 1980, 172). Denn die hier
gegebene unstreitige Übersendung des Klageschriftsatzes durch einen Dritten
(Übersendung über den Fax-Anschluss des X Büros durch einen Mitarbeiter des
früheren Bevollmächtigten des Klägers) auf Weisung des Klägers lässt ebenso
wie die persönlich veranlasste Übersendung einer maschinenschriftlich
unterschriebenen Klage (wie in der BFH-Entscheidung in BFHE 148, 205, BStBl
II 1987, 131) oder wie der Eingang eines mit eingescannter Unterschrift
versehenen Computerfaxes (Entscheidung des GmS-OGB in MDR 2000, 1089)
ersichtlich keine Zweifel daran, dass die Klage mit Wissen und Wollen des
(vertretenen) Klägers erhoben worden ist.
32
cc) Bei dieser Sach- und Rechtslage kann dahinstehen, ob die Grundsätze der
Entscheidung des GmS-OGB (in MDR 2000, 1089) zur Formwirksamkeit
bestimmender Schriftsätze mit eingescannter Unterschrift unabhängig von dem
jeweils gewählten Übersendungsweg (Briefpost, Telefax etc.) oder aber nur
für sog. Computerfaxe gelten.
33
(1) Aus der Sicht des Senats kann eine solche Beschränkung auf Computerfaxe
nicht allein aus dem Umstand gefolgert werden, dass Gegenstand des
Verfahrens vor dem GmS-OGB ein solches Computerfax war. Vielmehr spricht die
Begründung des GmS-OGB eher für die Anwendung der Entscheidungsgrundsätze
auf alle Formen der Übersendung bestimmender Schriftsätze. So betrifft der
in der Entscheidung als maßgeblich angesehene Gesichtspunkt, dass es für die
Schriftformerfordernisse und insbesondere die Entbehrlichkeit eigenhändiger
Unterschrift nur auf den bei Gericht als Empfänger sichtbar werdenden
Schriftsatz ankommt, gleichermaßen Schriftsätze, die wie im Streitfall per
Telefax übermittelt wurden.
34
Des Weiteren hat der GmS-OGB seinen Beschluss ausdrücklich unter Bezugnahme
auf seine frühere - nicht zu einem Computerfax - ergangene Entscheidung in
NJW 1980, 172 begründet. Der damit verbundene Hinweis auf den
ausschließlichen Zweck des Schriftformerfordernisses, Inhalt, Urheber und
Erklärungswille sicher feststellen zu können und auf die hinreichende
Erfüllung dieses Zwecks durch eine nur eingescannte Unterschrift
rechtfertigen ersichtlich keine Differenzierung zwischen den Wegen, auf
denen das jeweilige Dokument mit der eingescannten Unterschrift übermittelt
wird (so auch BGH-Beschluss in NJW 2008, 2649; zur wechselseitigen
Unabhängigkeit der Schriftformerfordernisse für Klagen in elektronischer
Form nach § 52a FGO einerseits sowie in schriftlicher Form nach § 64 FGO
andererseits s. oben unter II.1.d cc).
35
(2) Gleichwohl muss der Senat diese Frage hier offenlassen, weil sie im
Streitfall aus den unter II.2.c bb dargestellten Gründen nicht
entscheidungserheblich ist und im Übrigen die gegenteilige Auffassung des
BGH im Beschluss vom 10. Oktober 2006 XI ZB 40/05 - NJW 2006, 3784 -
(verfassungsrechtlich vom BVerfG durch Nichtannahmebeschluss vom 18. April
20071 BvR 110/07, NJW 2007, 3117 unbeanstandet) eine erneute Anrufung des
GmS-OGB erforderlich machen könnte. Im Streitfall bedeutet die Entscheidung
des erkennenden Senats jedenfalls deshalb keine Abweichung vom Beschluss des
BGH in NJW 2006, 3784, weil Gegenstand des BGH-Verfahrens eine Klageschrift
war, bei der die per Fax übersandte Fassung eine Unterschrift aufwies, die
nicht nur eingescannt worden war, sondern zudem einen anderen Namen als die
später im Original übersandte Rechtsbehelfsschrift aufwies und schon deshalb
erhebliche Zweifel an einer Übersendung "mit Wissen und Wollen" des
Verfassers begründen musste.
36
3. Die Vorentscheidung, die auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, ist
aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif und deshalb - entsprechend dem
Antrag des Klägers - zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG
zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
37
Das FG hat bisher aufgrund seiner abweichenden Auffassung zur Unzulässigkeit
der Klage die materielle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nicht
geprüft. Dies hat es nunmehr nachzuholen.
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