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BFH-Urteil vom 21.4.2010 (VI R 5/07) BStBl. 2010 II S. 687
Werbungskosten bei Teilnahme an einer Auslandsgruppenreise
1.
Zur Klärung der Veranlassungsbeiträge bei Teilnahme an einer
Auslandsgruppenreise gelten auch nach der Entscheidung des Großen Senats des
BFH vom 21. September 2009 GrS 1/06 die früher von ihm entwickelten
Abgrenzungsmerkmale grundsätzlich weiter.
2.
Haben nicht nur berufliche Gründe den Steuerpflichtigen bewogen, die
Reisekosten zu tragen, ist zu prüfen, ob die beruflichen und privaten
Veranlassungsbeiträge voneinander abgrenzbar sind.
3. Im
Fall der Abgrenzbarkeit sind die Reisekosten in Werbungskosten und
Aufwendungen für die private Lebensführung aufzuteilen. Als sachgerechter
Aufteilungsmaßstab kommt vor allem das Verhältnis der beruflich und privat
veranlassten Zeitanteile in Betracht.
EStG § 9 Abs. 1, § 12 Nr. 1.
Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG vom
28. Juni 2006 2 K 95/04 (EFG 2007, 754)
Sachverhalt
I.
1
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) erzielte im Streitjahr 1998 als Lehrerin für
Englisch und Religion an einem Gymnasium Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit. In der Zeit vom 5. bis 13. September 1998 nahm sie zusammen mit
anderen Englischlehrern an einer Fortbildungsreise für Englischlehrer nach
Dublin teil. Die Reise wurde von der Englischlehrervereinigung angeboten und
durchgeführt. Für den Reisezeitraum gewährte der Arbeitgeber
Dienstbefreiung.
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3
Die Klägerin machte in ihrer
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr Aufwendungen für die Reise in
Höhe von 2.328,50 DM als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ließ die Aufwendungen im
Einkommensteuerbescheid für 1998 unberücksichtigt, da die Reise nicht
ausschließlich beruflichen Zwecken gedient habe.
4
Das Finanzgericht (FG) wies die
nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage ab. Die Sprachreise sei nicht
ausschließlich beruflich veranlasst gewesen. Ein unmittelbarer beruflicher
Anlass für die Reise habe nicht bestanden. Neben der beruflichen
Veranlassung sei die Reise in nicht unerheblichem Umfang auch von privaten
Motiven beeinflusst worden. Dies ergebe sich daraus, dass während der
insgesamt neuntägigen Reise jeweils ein kompletter Tag für eine
Stadtrundfahrt und anschließende Freizeit in Dublin sowie einen Tagesausflug
nach Belfast vorgesehen gewesen sei. Zudem hätten auch der Besuch des
Parlamentsgebäudes (Dail Eireann) sowie zwei Abendveranstaltungen (Abbey
Theatre, Abend mit traditioneller Musik und Tanz) allgemeinen touristischen
Charakter gehabt. Darüber hinaus hätten auch die Seminarthemen nicht nur auf
die speziellen beruflichen Bedürfnisse von Englischlehrern zugeschnittene
Inhalte aufgewiesen und seien auch für andere am Land interessierte Personen
von Interesse gewesen.
5
Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
6
Die Klägerin beantragt
sinngemäß, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben
und den Einkommensteuerbescheid dahin abzuändern, dass die Einkommensteuer
für 1998 unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten in Höhe von 2.329 DM
herabgesetzt wird.
7
Das FA beantragt sinngemäß, die
angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das FG
zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
II.
8
Die Revision ist begründet. Das angefochtene
Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO -). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz
können Aufwendungen für eine gemischt veranlasste Reise in abziehbare
Werbungskosten und nicht abziehbare Aufwendungen für die private
Lebensführung aufgeteilt werden. Die tatsächlichen Feststellungen des FG
ermöglichen allerdings noch keine abschließende Beurteilung, in welchem
Umfang die geltend gemachten Kosten als Werbungskosten zu berücksichtigen
sind.
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1. Werbungskosten sind Aufwendungen zur
Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 des
Einkommensteuergesetzes - EStG -). Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) gehören hierzu auch Bildungsaufwendungen, sofern sie
beruflich veranlasst sind (BFH-Urteil vom 17. Dezember 2002 VI R 137/01,
BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407). Eine berufliche Veranlassung ist
gegeben, wenn die Aufwendungen objektiv mit dem Beruf zusammenhängen und
subjektiv zu dessen Förderung getätigt werden (BFH-Urteil vom 1. Februar
2007 VI R 25/03, BFHE 216, 522, BStBl II 2007, 459, m.w.N.).
10
a) Auch Aufwendungen für der beruflichen
Fortbildung dienende Reisen sind demnach dann als Werbungskosten abziehbar,
wenn sie durch den Beruf bzw. den Betrieb veranlasst sind. Ob dies zutrifft,
ist durch die Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Der
Abzug der Reisekosten setzt nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH
voraus, dass die Reise ausschließlich oder nahezu ausschließlich der
beruflichen/betrieblichen Sphäre zuzuordnen ist. Das ist zum einen der Fall,
wenn der Reise ein unmittelbarer beruflicher bzw. betrieblicher Anlass
zugrunde liegt (z.B. das Aufsuchen eines Geschäftsfreundes, das Halten eines
Vortrages auf einem Fachkongress, die Durchführung eines
Forschungsauftrages) und die Verfolgung privater Reiseinteressen nicht den
Schwerpunkt der Reise bildet. Gleiches gilt, wenn die berufliche bzw.
betriebliche Veranlassung bei weitem überwiegt und die Befriedigung privater
Interessen, wie z.B. Erholung, Bildung und Erweiterung des allgemeinen
Gesichtskreises, nach dem Anlass der Reise, dem vorgesehenen Programm und
der tatsächlichen Durchführung nicht ins Gewicht fällt und nur von
untergeordneter Bedeutung ist. Anderenfalls sind die gesamten Reisekosten
nicht abziehbar, soweit sich nicht ein durch den Beruf/Betrieb veranlasster
Teil nach objektiven Maßstäben sicher und leicht abgrenzen lässt
(Senatsentscheidung vom 20. Juli 2006 VI R 94/01, BFHE 214, 354, BStBl II
2007, 121, m.w.N.).
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b) Zur Begründung hat sich die bisherige
Rechtsprechung im Wesentlichen auf § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG berufen. Danach
verbietet diese Vorschrift zur Wahrung der steuerlichen Gerechtigkeit die
Aufteilung und damit den Abzug von Aufwendungen, die sowohl der privaten
Lebensführung dienen als auch den Beruf fördern. Mit Beschluss vom 21.
September 2009 GrS 1/06 (BFHE 227, 1) hat der Große Senat des BFH diese
Rechtsprechung aufgegeben. Nach seiner Auffassung normiert § 12 Nr. 1 Satz 2
EStG kein allgemeines Aufteilungs- und Abzugsverbot. Die Vorschrift steht
somit einer Aufteilung von gemischt veranlassten, aber anhand ihrer
beruflichen und privaten Anteile trennbaren Reisekosten nicht entgegen.
Enthält eine Reise abgrenzbare berufliche und private Veranlassungsbeiträge,
die jeweils nicht von völlig untergeordneter Bedeutung sind, so erfordert es
das objektive Nettoprinzip grundsätzlich, den beruflich veranlassten Teil
der Reisekosten zum Abzug zuzulassen. Reisekosten, die sowohl den
beruflichen als auch den privaten Reiseteil betreffen (z.B. Kosten der Hin-
und Rückreise zu einem Auslandsaufenthalt, der berufliche und private Teile
umfasst), sind zur Umsetzung des Nettoprinzips ebenfalls aufzuteilen. Als
sachgerechter Aufteilungsmaßstab kommt das Verhältnis der beruflichen und
privaten Zeitanteile der Reise in Betracht. Das unterschiedliche Gewicht der
verschiedenen Veranlassungsbeiträge kann es jedoch im Einzelfall erfordern,
einen anderen Aufteilungsmaßstab heranzuziehen oder von einer Aufteilung
ganz abzusehen.
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2. Das FG ist von anderen Grundsätzen
ausgegangen; die Vorentscheidung ist daher aufzuheben. Die Sache ist nicht
spruchreif.
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a) Das FG wird im zweiten Rechtsgang
zunächst die Gründe festzustellen haben, aus denen die Klägerin die Reise
unternommen hat. Die Gründe bilden das "auslösende Moment", das den
Steuerpflichtigen bewogen hat, die Reisekosten zu tragen (Beschluss des
Großen Senats des BFH in BFHE 227, 1). Die Gründe sind anhand der Umstände
des Falls zu ermitteln. Dabei kommt dem Steuerpflichtigen eine umfassende
Darlegungs- und Nachweispflicht zu (Beschluss des Großen Senats des BFH in
BFHE 227, 1). Für eine Auslandsgruppenreise gelten auch nach der
Entscheidung des Großen Senats des BFH in BFHE 227, 1 die in seinem
Beschluss vom 27. November 1978 GrS 8/77 (BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213)
entwickelten Abgrenzungsmerkmale grundsätzlich fort. Für eine berufliche
Veranlassung ist daher neben einer fachlichen Organisation vor allem
maßgebend, dass das Programm auf die besonderen beruflichen Bedürfnisse der
Teilnehmer zugeschnitten und der Teilnehmerkreis im Wesentlichen gleichartig
(homogen) ist. Einer (ausschließlich) beruflichen Veranlassung steht nicht
schon entgegen, dass die im beruflichen Interesse gewonnenen Erkenntnisse
auch im privaten Bereich angewendet werden können (Senatsentscheidungen vom
17. Juli 1992 VI R 12/91, BFHE 168, 567, BStBl II 1992, 1036; vom 28. August
2008 VI R 35/05, BFHE 223, 1, BStBl II 2009, 108). Die berufliche
Veranlassung kann auch nicht mit der Begründung abgesprochen werden, der
Beruf erfordere Aufwendungen, die für andere Steuerpflichtige
Privataufwendungen sind (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 227,
1).
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b) Kommt das FG zu dem Ergebnis, dass nicht
nur berufliche, sondern auch beachtliche private Gründe die Klägerin bewogen
haben, an der Reise teilzunehmen und die Reisekosten zu tragen, ist zu
prüfen, ob die beruflichen und privaten Veranlassungsbeiträge nach
objektiven Kriterien abgrenzbar sind. Davon ist auszugehen, wenn
Reiseabschnitte bzw. Reisebestandteile (s. dazu BFH-Urteil vom 18. August
2005 VI R 32/03, BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30) unterschiedlich beruflich
oder privat veranlasst sind. In diesem Fall sind, wie dargestellt, die
Aufwendungen für die Reise aufzuteilen. Dabei sind die Grundsätze, die der
Senat für die Einnahmenseite gemischt veranlasster Reisen mit Urteil in BFHE
210, 420, BStBl II 2006, 30 aufgestellt hat, auf die Aufteilbarkeit in
Werbungskosten und Aufwendungen für die Lebensführung zu übertragen
(Senatsbeschluss in BFHE 214, 354, BStBl II 2007, 121). Danach sind bei
einer gemischt veranlassten Reise, sofern es sich nicht um eine
Pauschalreise handelt, zunächst die Kostenbestandteile der Reise zu trennen,
die sich leicht und eindeutig dem beruflichen und privaten Bereich zuordnen
lassen. Für die Aufwendungen, die sowohl den beruflichen als auch den
privaten Reiseteil betreffen - das sind insbesondere die Kosten für die
Beförderung, die Hotelunterbringung und Verpflegung (Senatsentscheidung in
BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30) -, hat der Große Senat des BFH in BFHE
227, 1, dem erkennenden Senat insoweit folgend (Urteil in BFHE 210, 420,
BStBl II 2006, 30), als sachgerechten Aufteilungsmaßstab das Verhältnis der
beruflich und privat veranlassten Zeitanteile herangezogen. Bei der
Bemessung der Zeitanteile sind der An- und/oder Abreisetag nur zu
berücksichtigen, wenn diese Tage zumindest teilweise für touristische bzw.
berufliche Unternehmungen zur Verfügung standen. Ansonsten sind diese Tage
bei der Aufteilung als neutral zu behandeln.
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