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BFH-Urteil vom 28.10.2009 (IX R 17/09) BStBl. 2010 II S. 539
Rückabwicklung eines Anteilsverkaufs wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage
als rückwirkendes Ereignis
Wird der Verkauf eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft durch die
Parteien des Kaufvertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage tatsächlich
und vollständig rückgängig gemacht, kann dieses Ereignis steuerlich auf den
Zeitpunkt der Veräußerung zurückwirken.
AO § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2; EStG § 17
Abs. 1; BGB § 313.
Vorinstanz: FG Mecklenburg-Vorpommern vom
8. April 2009 1 K 687/04
Sachverhalt
I.
1
Die Kläger und
Revisionsbeklagten (Kläger) sind im Streitjahr (1997) zusammen zur
Einkommensteuer veranlagte Eheleute.
2
Die Klägerin war
Geschäftsführerin einer durch Umwandlung aus einer landwirtschaftlichen
Produktionsgesellschaft entstandenen Schweineerzeugungs- und
Schweinemast-GmbH. An deren Stammkapital waren zunächst 104 Gesellschafter
beteiligt; die Stammeinlage der Klägerin betrug 3.000 DM. Bis 1996 schieden
bis auf die Klägerin und die Gesellschafter L (Stammeinlage: 1.900 DM) und S
(Stammeinlage: 800 DM) alle weiteren Gesellschafter aus und wurden von der
GmbH nach den Vorschriften des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes ausbezahlt.
Die verbliebenen drei Gesellschafter übernahmen keine Geschäftsanteile. Die
GmbH hielt eigene Anteile in Höhe von 221.300 DM.
3
Die drei Gesellschafter der
GmbH gründeten zeitlich vor dem Streitjahr eine GbR. Die GmbH veräußerte das
für die Landwirtschaft benötigte Betriebsvermögen einschließlich Vieh zum
Buchwert an die GbR. Sie gewährte ihren Gesellschaftern Kredite, mit denen
die Betriebskosten der GbR beglichen wurden. Von den Darlehen von insgesamt
1.449.428,16 DM entfielen auf die Klägerin 596.662,98 DM, auf den
Gesellschafter L 596.662,98 DM und auf den Gesellschafter S 256.102,20 DM.
Am 20. Dezember 1996 beschloss die Gesellschafterversammlung, aus dem EK 04
insgesamt 1.133.693,67 DM auszuschütten und mit den Darlehen zu verrechnen.
Dadurch wurde das Darlehen der Klägerin in vollem Umfang getilgt.
4
Mit notariell beurkundetem
Kaufvertrag vom 30. Juni des Streitjahres veräußerte die Klägerin ihren in
Teilgeschäftsanteile von 2.100 DM und 900 DM aufgeteilten Geschäftsanteil
zum Gesamtkaufpreis von 13.750,50 DM mit Zustimmung der GmbH an die beiden
übrigen Gesellschafter. Das Gewinnbezugsrecht ging mit Wirkung vom
Beurkundungstag an die Erwerber über. Unter Ziff. 5 regelten die
Vertragsparteien Folgendes: "Die mit dieser Urkunde und ihrem Vollzug
verbundenen Kosten und die evtl. Steuern fallen der Gesellschaft zur Last".
Am 11. Dezember 2003 erklärten die Parteien des Kaufvertrags den Rücktritt
vom Vertrag: "Aufgrund einer Änderung der Rechtsprechung droht..." der
Klägerin"... entgegen unseren Annahmen bei Vertragschluss eine
Einkommensteuerbelastung, die von ihr persönlich nicht getragen werden kann
und deren Überwälzung auf ... (die GmbH) ... gemäß Ziff. 5 des Vertrages vom
30.06.1997 auch für diese Gesellschaft ruinös wäre. Wir sind darüber einig,
dass aufgrund dessen allen Vertragsparteien ein Rücktrittsrecht wegen
Wegfalls der Geschäftsgrundlage zusteht und erklären hiermit wechselseitig
den Rücktritt von dem o.a. Vertrag vom 30.06.1997". Zur Rückabwicklung
vereinbarten sie, dass die Gesellschafter ihre von der Klägerin erworbenen
Anteile an sie abtreten und die Klägerin im Gegenzug die erhaltenen
Kaufpreise zurückzahlt. Die GmbH stimmte der Abtretung der Geschäftsanteile
zu.
5
Im Rahmen des
Einspruchsverfahrens gegen den Einkommensteuerbescheid für 1996, in dem der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Ausschüttung aus dem
EK 04 zunächst als Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb erfasst hatte,
änderte das FA am 30. Dezember 2003 den bestandskräftigen
Einkommensteuerbescheid des Streitjahres nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der
Abgabenordnung (AO) und berücksichtigte darin nun einen Veräußerungsgewinn,
in den die Ausschüttung aus dem EK 04 einfloss. Der hiergegen gerichtete
Einspruch der Klägerin, den sie mit dem Rücktritt vom Kaufvertrag
begründete, blieb im Wesentlichen ohne Erfolg.
6
Ihrer Klage gab das
Finanzgericht (FG) statt. Zwar sei ein Veräußerungsgewinn nach § 17 Abs. 1
des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG) grundsätzlich
steuerbar. Die Klägerin sei wesentlich an der GmbH beteiligt gewesen, weil
eigene Geschäftsanteile außer Betracht bleiben müssten (vgl. Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. April 1989 VIII R 329/84, BFH/NV 1990, 27).
Auch sei der Veräußerungsgewinn unter Berücksichtigung der Ausschüttung aus
dem EK 04 als negative Anschaffungskosten zu ermitteln gewesen (BFH-Urteil
vom 20. April 1999 VIII R 44/96, BFHE 188, 352, BStBl II 1999, 698). Indes
sei der Kaufvertrag auch steuerrechtlich rückwirkend durch den auf Wegfall
der Geschäftsgrundlage beruhenden Rücktritt entfallen.
7
Hiergegen richtet sich die
auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des FA. Zur
Begründung führt es im Wesentlichen aus, wenn sich die Klägerin keine
Gedanken gemacht haben sollte, wie sich die Darlehensgewährung und
-verrechnung habe auswirken können, rechtfertige das kein rückwirkendes
Ereignis als Folge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Die Problematik
negativer Anschaffungskosten bei Ausschüttungen aus dem EK 04 sei im
Schrifttum bereits (streitig) thematisiert worden. Überdies seien die
Geschäftsanteile im Streitjahr übertragen worden. Die vom FG angenommene
Rückwirkung erstrecke sich auch nicht über einen kurzen Zeitraum.
Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die steuerlichen Folgen eines
Vertrages für eine der Vertragsparteien typischerweise zur Risikosphäre
dieser Partei gehöre.
8
Das FA beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
9
Die Klägerin beantragt
sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
10
Die Revision ist unbegründet und nach § 126
Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zutreffend
keinen Veräußerungsgewinn der Besteuerung unterworfen.
11
1. Nach § 17 Abs. 1 EStG gehört zu den
Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von
Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der
letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war.
Eine wesentliche Beteiligung ist gegeben, wenn der Veräußerer an der
Gesellschaft zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar beteiligt
war.
12
2. Im Streitfall war die Klägerin innerhalb
der letzten fünf Jahre vor Abschluss des Anteilskaufvertrages am 30. Juni
des Streitjahres zu mehr als einem Viertel an der GmbH beteiligt, weil die
GmbH mit ihren eigenen Geschäftsanteilen wirtschaftlich nicht an ihrem
Unternehmen beteiligt ist (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1990, 27). In den
deshalb grundsätzlich steuerbaren Veräußerungsgewinn der Klägerin sind auch
die im Jahr 1996 vorgenommenen Ausschüttungen aus dem EK 04 der GmbH durch
Verrechnung mit dem hingegebenen Darlehen als negative Anschaffungskosten
einzubeziehen, wenn sie - wie hier - die Anschaffungskosten der Beteiligung
übersteigen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 188, 352, BStBl II 1999, 698). Der
entsprechende Ersatztatbestand des § 17 Abs. 4 EStG in der aktuellen Fassung
gilt erst ab dem Jahr 1997 (vgl. dazu Blümich/Ebling, § 17 EStG Rz 265a) und
damit nicht für die im Jahr 1996 vollzogene Ausschüttung. Hierüber besteht
zwischen den Beteiligten kein Streit.
13
Umstritten ist allein, ob dieser Gewinn
aufgrund des Rücktritts vom Kaufvertrag mit steuerrechtlicher Wirkung
entfallen ist. Diese Frage hat das FG zutreffend bejaht.
14
a) Ein Ereignis wirkt auf den bereits
entstandenen materiellen Steueranspruch des § 17 Abs. 1 EStG ein und mithin
zurück, wenn es sich materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung
bezieht. So verhält es sich bei späteren Veränderungen des
Veräußerungspreises (BFH-Beschluss vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66,
BStBl II 1993, 897). Ist der Kaufpreis schon beglichen, wirkt auf den
Veräußerungstatbestand ein, wenn der Kaufpreis aus Gründen zurückgewährt
wird, die im Kaufvertrag selbst angelegt sind (BFH-Urteil vom 19. August
2003 VIII R 67/02, BFHE 203, 309, BStBl II 2004, 107, m.w.N.). Ob dies
aufgrund einer auflösenden Bedingung oder infolge Fehlens oder Wegfalls der
Geschäftsgrundlage geschieht, ist unerheblich. Denn der erforderliche
Anknüpfungspunkt liegt stets im Kaufvertrag (vgl. dazu eingehend F. Dötsch,
Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe,
1987, S. 143 ff.) und bezieht sich damit auf das Tatbestandsmerkmal der
"Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft". Dem entspricht es,
wenn die Rechtsprechung in der Rückabwicklung eines Anschaffungsgeschäfts
wegen Vertragsstörungen kein steuerbares Veräußerungsgeschäft sieht (vgl.
BFH-Urteil vom 27. Juni 2006 IX R 47/04, BFHE 214, 267, BStBl II 2007, 162).
15
b) Das FG hat die vertraglichen
Vereinbarungen zwischen der Klägerin und ihren Mitgesellschaftern zutreffend
als Rückabwicklung des Anteilskaufvertrags wegen Wegfalls der
Geschäftsgrundlage gewürdigt.
16
Dabei obliegt die Vertragsauslegung dem FG
als Tatsacheninstanz; sie bindet den BFH gemäß § 118 Abs. 2 FGO, wenn sie
den Grundsätzen der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)
entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, d.h.
jedenfalls möglich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom
25. Februar 2009 IX R 76/07, BFH/NV 2009, 1268, m.w.N.). Im Streitfall ist
die Auslegung des FG jedenfalls möglich. Es konnte bereits nach dem Wortlaut
des Vertrages vom 11. Dezember 2003 eine im Wegfall der Geschäftsgrundlage
begründete und damit auch steuerrechtlich auf den Veräußerungstatbestand
einwirkende Rückabwicklung des Anteilskaufvertrags annehmen. Entsprechend
der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Lehre in der - hier maßgebenden -
Zeit vor Kodifizierung der Grundsätze über das Fehlen und den Wegfall der
Geschäftsgrundlage in § 313 BGB kann auch der gemeinsame Irrtum über
steuerliche Folgen zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage führen (vgl. dazu
Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH -, vom 18. November 1975 VI ZR 153/73,
Der Betrieb 1976, 234; aus dem Schrifttum z.B. Palandt/Grüneberg,
Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Aufl., § 313 Rz 38; Unberath in
Bamberger/Roth/Unberath, BGB, 2. Aufl., § 313 Rz 60; zum Begriff der
Geschäftsgrundlage BGH-Urteil vom 24. November 1995 V ZR 164/94, BGHZ 131,
209, unter II.3.b, m.w.N.). Dabei gehören die steuerlichen Folgen eines
Veräußerungsgeschäfts entgegen der Revision jedenfalls dann nicht in die
alleinige Risikosphäre des Verkäufers, wenn die Vertragsparteien - wie hier
in Ziff. 5 des Kaufvertrags - eine bestimmte steuerliche Lastenverteilung
explizit zur Vertragsgrundlage gemacht haben (vgl. dazu auch BFH-Beschluss
vom 6. November 2002 XI R 42/01, BFHE 200, 560, BStBl II 2003, 257).
17
Zwar handelt es sich bei dieser Klausel
nicht um eine Steuerklausel im engeren Sinne, die den Vertrag bei einer
bestimmten steuerrechtlichen Einordnung von vornherein entfallen lässt (vgl.
dazu eingehend BFH-Urteil vom 24. November 1992 IX R 30/88, BFHE 170, 71,
BStBl II 1993, 296). Indes ist der Vorinstanz darin beizupflichten, dass
diese Vertragsbedingung eine gemeinsame Fehlvorstellung über die
steuerrechtlichen Folgen offenbart, die erst mit dem BFH-Urteil in BFHE 188,
352, BStBl II 1999, 698, und damit nach Vertragsabschluss hinreichend
geklärt wurden.
18
Es kommt mit dem FG auch nicht darauf an,
ob das Rücktrittsbegehren wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage vor den
Zivilgerichten zweifellos erfolgreich gewesen wäre, wenn die
Kaufvertragsparteien diesen Vertrag - wie hier - tatsächlich und vollständig
wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage rückabwickeln und sich infolgedessen
so stellen, wie sie stünden, wenn der Kaufvertrag nicht abgeschlossen worden
wäre. So haben sich die Parteien des Anteilskaufvertrags nach den
Feststellungen der Vorinstanz in der Tat verhalten. Sie haben sich aufgrund
des Rückabwicklungsvertrags vom 11. Dezember 2003 mit ausdrücklicher und
notariell beurkundeter Zustimmung der GmbH ihre jeweiligen Leistungen
zurückgewährt: Die Klägerin bekam von den Gesellschaftern L und S ihren
Gesellschaftsanteil zurück und zahlte ihrerseits den Kaufpreis zurück.
Weiterer Rückabwicklungsbedarf bestand nicht, weil seit dem Kaufvertrag
keine Gewinnausschüttungen oder Kapitalrückzahlungen vorgenommen wurden.
19
c) Ist damit die "Veräußerung von Anteilen
an einer Kapitalgesellschaft" auch steuerrechtlich rückwirkend entfallen,
kommt es nicht zu einer Besteuerung nach § 17 Abs. 1 EStG. Da
verfahrensrechtlich die Veranlagung des Streitjahres noch offen ist, bedarf
es § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht (ständige Rechtsprechung, vgl.
BFH-Urteil vom 22. Juli 2008 IX R 79/06, BFHE 222, 464, BStBl II 2009, 227,
unter II.1., m.w.N.). Der Senat versteht die Ausführungen im BFH-Urteil in
BFHE 203, 309, BStBl II 2004, 107, zu § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO rein
materiell-rechtlich in dem Sinne, dass ein rückwirkendes Ereignis auch - wie
hier - bei noch offener Veranlagung zu berücksichtigen ist. Dementsprechend
ist im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr kein Veräußerungsgewinn
anzusetzen.
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