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BFH-Urteil vom 17.12.2009 (VI R 64/08) BStBl. 2010 II S. 343
Keine Opfergrenze, aber Berücksichtigung des Kindesunterhalts bei Unterhalt
an Lebensgefährtin
1.
Unterhaltsleistungen eines Steuerpflichtigen an seine mit ihm in einer
Haushaltsgemeinschaft lebende, mittellose Lebenspartnerin sind ohne
Berücksichtigung der sog. Opfergrenze als außergewöhnliche Belastung nach
§ 33a Abs. 1 EStG abziehbar (Anschluss an BFH-Urteil vom 29. Mai 2008
III R 23/07, BFHE 222, 250, BStBl II 2009, 363).
2.
Gehört der Haushaltsgemeinschaft ein unterhaltsberechtigtes Kind an, sind
die für Unterhaltsleistungen zur Verfügung stehenden Mittel um den nach § 32
Abs. 6 Satz 2 EStG bemessenen Mindestunterhaltsbedarf des Kindes zu kürzen.
3.
Der Mindestunterhalt ist in Höhe des doppelten Freibetrags für das sächliche
Existenzminimum des Kindes anzusetzen. § 1612a Abs. 1 Satz 3 BGB kommt
entsprechend zur Anwendung.
EStG § 33a Abs. 1; BGB § 1609, § 1603,
§ 1612a Abs. 1, § 1615l Abs. 3.
Vorinstanz: Thüringer FG vom 7. Mai 2008
IV 700/06
Sachverhalt
I.
1
Der Kläger und
Revisionsbeklagte (Kläger) lebte im Streitjahr (2005) mit Frau E in einer
eheähnlichen Gemeinschaft. Zum gemeinsamen Haushalt gehörte auch das 2004
geborene gemeinsame Kind. Der Kläger leistete an E Unterhalt in Höhe von
7.680 €. E bezog im Streitjahr lediglich Lohnersatzleistungen von 253 €,
aber keine Sozialleistungen. Der Kläger erhielt einen Bruttoarbeitslohn von
21.345 €, dazu 924 € Kindergeld sowie eine Einkommensteuererstattung von
41 €. Er zahlte Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag in Höhe von 2.465 € und
den Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag in Höhe von
4.388 €. Ihm entstanden Werbungskosten von 920 €. Der danach verbleibende
Nettobetrag betrug 14.537 €.
2
In seiner
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger die
Unterhaltsleistungen an E als außergewöhnliche Belastung geltend. Der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte in der
Einspruchsentscheidung lediglich 3.489 € und begründete dies damit, dass
nach der sog. Opfergrenze nur 24 % des Nettoeinkommens des Klägers abziehbar
seien.
3
Das Finanzgericht (FG) gab
der Klage statt (Deutsches Steuerrecht-Entscheidungsdienst 2009, 408).
4
Mit der Revision rügt das FA
die Verletzung materiellen Rechts.
5
Das FA beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
6
Der Kläger beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
7
Die Revision des FA ist teilweise
begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur
teilweisen Stattgabe der Klage. Der Senat kann in der Sache selbst
entscheiden (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Zu Recht hat das FG die Unterhaltsleistungen des Klägers ohne
Berücksichtigung einer Opfergrenze als außergewöhnliche Belastung zum Abzug
zugelassen. Bei der gebotenen gleichmäßigen Verteilung der zur Verfügung
stehenden Mittel unter in einer Haushaltsgemeinschaft lebenden Personen ist
allerdings der Mindestunterhaltsbedarf des Kindes zu berücksichtigen.
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1. Aufwendungen für den Unterhalt einer
gegenüber dem Steuerpflichtigen gesetzlich unterhaltsberechtigten Person
können nach § 33a Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf
Antrag bis zu einem bestimmten Betrag (im Streitjahr 7.680 €) vom
Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Den gesetzlich
unterhaltsberechtigten Personen ist nach § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG eine
Person gleichgestellt, wenn ihr zum Unterhalt bestimmte inländische
öffentliche Mittel mit Rücksicht auf die Unterhaltsleistungen des
Steuerpflichtigen gekürzt werden (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
29. Mai 2008 III R 23/07, BFHE 222, 250, BStBl II 2009, 363). Diese
Voraussetzungen sind hier, wie im angefochtenen Urteil ausgeführt, gegeben.
9
2. Die sog. Opfergrenze ist auf
Unterhaltsleistungen an den in Haushaltsgemeinschaft lebenden nichtehelichen
Partner nicht anzuwenden.
10
a) Unterhaltsaufwendungen für andere als
gemäß § 1609 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vorrangig
unterhaltsberechtigte Personen können nach der ständigen Rechtsprechung des
BFH im Allgemeinen nur dann als zwangsläufig und folglich als
außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, wenn sie in einem angemessenen
Verhältnis zum Nettoeinkommen des Leistenden stehen und diesem nach Abzug
der Unterhaltsleistungen noch die angemessenen Mittel zur Bestreitung des
Lebensbedarfs für sich sowie ggf. für seine Ehefrau und seine Kinder
verbleiben (sog. Opfergrenze; vgl. z.B. BFH-Urteil vom 30. Juni 1989
III R 258/83, BFHE 157, 422, BStBl II 1989, 1009, m.w.N.). Denn nach § 1603
BGB ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen
Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen
Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.
11
b) Gegenüber den nach § 33a Abs. 1 Satz 2
EStG gleichgestellten Personen besteht grundsätzlich keine
Unterhaltspflicht. Der gesetzgeberische Grund der Gleichstellung in § 33a
Abs. 1 EStG liegt darin, dass der Unterhalt Leistende sich in einer
vergleichbaren - sittlichen, nicht rechtlichen - Zwangslage wie der
gesetzlich zum Unterhalt Verpflichtete befindet, wenn der
Unterhaltsbedürftige durch Versagung von Sozialleistungen de facto auf das
Einkommen seines Lebenspartners verwiesen wird.
12
Die der Opfergrenze zugrunde liegende
Wertung lässt sich aber auch auf sittliche Unterhaltsverpflichtungen
übertragen, denn grundsätzlich wird von niemandem erwartet, den eigenen
angemessenen Unterhalt durch dem Grunde nach sittlich gebotene
Unterhaltsleistungen zu gefährden.
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Nach Auffassung des III. Senats des BFH ist
dies aber anders, wenn zusammen lebende Partner eine sozialrechtliche
Bedarfsgemeinschaft bilden und daher gemeinsam wirtschaften müssen. Erzielt
nur einer der Partner Einkünfte oder Bezüge, so ist es - jedenfalls bei
Steuerpflichtigen in einfachen Verhältnissen - praktisch unumgänglich,
daraus die größten Ausgaben wie Miete samt Nebenkosten, Nahrungsmittel und
Kleidung für beide zu begleichen. In derartigen Fällen wäre es, so der BFH,
auch sittlich nicht zu billigen, den bedürftigen Partner, welchem mit
Rücksicht auf die Unterhaltsleistungen öffentliche Mittel verweigert werden,
nur unzureichend zu unterstützen. Vielmehr ist in einem solchen Fall von der
gleichmäßigen Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel zwischen dem
verdienenden und dem bedürftigen Partner auszugehen (BFH-Urteil in BFHE 222,
250, BStBl II 2009, 363).
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c) Nach dieser Rechtsprechung, der sich der
Senat anschließt, ist auch im Streitfall davon auszugehen, dass der Kläger
und E das ihnen gemeinsam zur Verfügung stehende Nettoeinkommen gleichmäßig
aufgeteilt haben. Da hier aber, anders als im Fall des BFH-Urteils in BFHE
222, 250, BStBl II 2009, 363, ein gegenüber dem Kläger gemäß § 1615l Abs. 3
Satz 3 BGB i.d.F. des Streitjahrs bevorrechtigt unterhaltsberechtigtes Kind
zur Haushaltsgemeinschaft gehört, ist bei der Ermittlung des verfügbaren
Nettoeinkommens der Mindestunterhaltsbedarf dieses Kindes in Abzug zu
bringen.
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Der Mindestunterhalt ist in Höhe des
doppelten Freibetrags für das sächliche Existenzminimum des Kindes gemäß
§ 32 Abs. 6 Satz 2 EStG (3.648 €) anzusetzen. Eine vergleichbare Regelung
findet sich für das zivilrechtliche Unterhaltsrecht in § 1612a Abs. 1 BGB in
der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung. Da erfahrungsgemäß ältere Kinder
höhere Kosten als jüngere Kinder verursachen (vgl. dazu MünchKomm BGB/Born,
5. Aufl., § 1612a Rz 39), ist der Mindestunterhalt altersabhängig zu
gestalten. Insoweit kann die Altersstufenregelung in § 1612a Abs. 1 Satz 3
BGB in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung entsprechend herangezogen
werden.
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Dem verdienenden Partner muss auch kein
verfügbares Einkommen in Höhe des steuerrechtlichen Existenzminimums
verbleiben, da im Rahmen einer sozialrechtlichen Bedarfsgemeinschaft das zur
Verfügung stehende Nettoeinkommen gleichmäßig aufzuteilen ist. Insoweit
folgt der Senat nicht der Auffassung des III. Senats des BFH in BFHE 222,
250, BStBl II 2009, 363, die in jenem Fall im Übrigen nicht
entscheidungserheblich war.
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3. Da das FG teilweise von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist das vorinstanzliche Urteil
aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Einkommensteuerbescheid für das
Streitjahr in Gestalt der Einspruchsentscheidung des FA ist dahingehend
abzuändern, dass außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 6.270 €
berücksichtigt werden:
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19
4. Die Neuberechnung der Einkommensteuer
wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2, § 121 FGO).
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