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BFH-Urteil vom 18.3.2009 (III R 26/06) BStBl. 2010 II S. 296
Die
ernsthafte Vorbereitung auf ein Abitur für Nichtschüler ist - zumindest ab
dem Monat der Anmeldung zur Prüfung - als Berufsausbildung anzusehen.
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a,
§ 63 Abs. 1 Satz 2; PO-NSchA NRW § 1, § 2, § 3 Abs. 3, § 4 Abs. 3, § 5,
§ 17.
Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 21. Februar
2006 10 K 171/03 Kg (EFG 2006, 1073)
Sachverhalt
I.
Die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin) bezog für ihre am 12. April 1981 geborene
Tochter (T) Kindergeld. Diese besuchte im Schuljahr 2000/2001 die 13. Klasse
eines Gymnasiums in A. Im Januar 2001 verließ sie die Schule vorzeitig, ab
Oktober 2001 studierte sie in Paris Französisch und französische Kultur.
Nach ihrer Rückkehr im Sommer 2002 meldete sie sich im September 2002 bei
der Bezirksregierung Düsseldorf zu einer Abiturprüfung für Nichtschüler an.
Die schriftlichen Prüfungen fanden im Februar 2003, die mündlichen Prüfungen
im Juni 2003 statt. Im Jahr 2004 bestand sie die Wiederholungsprüfung,
nachdem sie im Jahr zuvor gescheitert war.
Die Beklagte und
Revisionsklägerin (Familienkasse) gewährte ab Juli 2002 kein Kindergeld
mehr, da sie der Ansicht war, die Abiturprüfung für Nichtschüler sei keine
Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des
Einkommensteuergesetzes (EStG). Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die
Familienkasse zurück.
Die anschließend erhobene
Klage, mit der die Familienkasse verpflichtet werden sollte, Kindergeld ab
Juli 2002 zu zahlen, hatte überwiegend Erfolg (Urteil des Finanzgerichts -
FG - vom 21. Februar 2006 10 K 171/03 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte
- EFG - 2006, 1073). Das FG war der Auffassung, die Vorbereitung auf die
Abiturprüfung für Nichtschüler sei als Berufsausbildung anzusehen, auch wenn
es an einer Einbindung in eine schulische Mindestorganisation gefehlt habe.
Spätestens seit der Anmeldung zu dieser Prüfung im September 2002 habe T mit
der Ausbildung begonnen. Die Zeitspanne zwischen dem Ende der Ausbildung in
Paris und dem Ausbildungsbeginn in Deutschland habe den Zeitraum von vier
Monaten nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG unterschritten. Das FG
hob den angefochtenen Bescheid sowie die Einspruchsentscheidung auf. Da die
Sache nicht spruchreif war, verpflichtete es gemäß § 101 Satz 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) die Familienkasse, über den Anspruch auf
Kindergeld unter Beachtung seiner Rechtsauffassung erneut zu entscheiden und
insbesondere die Ernsthaftigkeit der Prüfungsvorbereitung zu prüfen. Im
Übrigen wies es die Klage ab.
Zur Begründung der Revision
trägt die Familienkasse im Wesentlichen vor, der im Passiv formulierte
Gesetzeswortlaut "für einen Beruf ausgebildet wird" spreche dafür, dass eine
gewisse organisatorische Eingliederung in einen Schulbetrieb unter
Mitwirkung entsprechender "Ausbilder" erforderlich sei, damit eine sinnvolle
und zweckgerichtete Vermittlung von Lerninhalten mit Leistungs- und
Fortschrittskontrollen gesichert sei. Andernfalls bliebe die Dauer des
Kindergeldbezuges bis zur Altersgrenze der freien Disposition des Kindes und
der Eltern überlassen. Auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu
Au-Pair-Verhältnissen stütze ihre Rechtsansicht. Ein Sprachaufenthalt im
Ausland sei nur dann als Berufsausbildung anzusehen, wenn er im Rahmen
anerkannter Formen eines theoretisch-systematischen Unterrichts mit einer
Mindestzahl von Unterrichtsstunden absolviert werde.
Die Familienkasse beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat keinen
Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und daher
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zutreffend entschieden, dass
eine ernsthafte Vorbereitung auf die Abiturprüfung für Nichtschüler als
Berufsausbildung anzusehen ist.
1. Nach § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32
Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ist ein Kind kindergeldrechtlich zu
berücksichtigen, das für einen Beruf ausgebildet wird.
a) Nach der Übernahme des Kindergeldrechts
in das EStG durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I
1995, 1250, BStBl I 1995, 438) hat der BFH den Begriff der Berufsausbildung
neu bestimmt und erweiternd ausgelegt (vgl. BFH-Urteile vom 9. Juni 1999
VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701; vom 24. Juni 2004 III R 3/03,
BFHE 206, 413, BStBl II 2006, 294). Er umfasst jede Ausbildung zu einem
künftigen Beruf. Zur Berufsausbildung gehört auch die Schulausbildung
(BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 34/98, BFHE 189, 95, BStBl II 1999, 705).
In Berufsausbildung befindet sich, wer seine Berufsziele noch nicht erreicht
hat, sich aber ernsthaft darauf vorbereitet (Senatsurteil in BFHE 206, 413,
BStBl II 2006, 294, m.w.N.). Einzubeziehen sind alle Maßnahmen, die dem
Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen dienen, die als
Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufes geeignet sind
(BFH-Urteile vom 16. April 2002 VIII R 58/01, BFHE 199, 111, BStBl II 2002,
523; vom 15. Juli 2003 VIII R 47/02, BFHE 203, 106, BStBl II 2003, 848). Sie
müssen nicht zwingend in einer Ausbildungs- oder Studienordnung
vorgeschrieben sein, auch muss die Ausbildungsmaßnahme nicht überwiegend
Zeit und Arbeitskraft des Kindes in Anspruch nehmen (BFH-Urteil in BFHE 189,
88, BStBl II 1999, 701).
b) Entgegen der Dienstanweisung zur
Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des
Einkommensteuergesetzes 63.3.2.1 Abs. 2 Satz 7 (BStBl I 2004, 742) ist eine
Schulausbildung nicht nur dann anzuerkennen, wenn der Schüler in eine
schulische Mindestorganisation eingebunden ist, die eine gewisse
Lernkontrolle ermöglicht. Auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
zum Begriff der Schulausbildung in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des
Bundeskindergeldgesetzes a.F. (Urteile vom 7. September 1988 10 RKg 6/87,
Aktueller Informationsdienst für die berufsgenossenschaftliche
Sachbearbeitung 1988, 2115, betr. Nichtschülerabitur, und vom 22. November
1994 10 RKg 3/93, Neue Zeitschrift für Sozialrecht 1995, 234, betr.
Gasthörerstudium zur Erlangung der Hochschulreife), kann nur eingeschränkt
zurückgegriffen werden, da seit der Systemumstellung zum 1. Januar 1996 der
steuerrechtliche Begriff der Berufsausbildung im Kindergeldrecht gilt und
somit eine einheitliche steuerrechtliche Auslegung geboten ist. Bei der
Auslegung ist der Zweck des Kindergelds zu berücksichtigen, das
Existenzminimum eines Kindes von der Besteuerung auszunehmen (vgl. § 31
Satz 1 EStG), weil durch den kindbedingten Aufwand die steuerliche
Leistungsfähigkeit der Eltern gemindert wird (BFH-Urteil in BFHE 189, 88,
BStBl II 1999, 701, m.w.N.).
2. Das FG hat zutreffend die vorgenannten
Grundsätze seiner Entscheidung zugrunde gelegt und zu Recht die Vorbereitung
auf die Abiturprüfung für Nichtschüler zumindest ab dem Monat der Anmeldung
zur Prüfung als Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a
EStG beurteilt (ebenso FG Baden-Württemberg vom 4. Mai 2001 14 K 73/01, EFG
2001, 1299; vgl. auch FG Baden-Württemberg vom 26. November 1998 8 K 268/97,
EFG 1999, 296, zu einer Schulfremdenprüfung zur Erreichung des
Hauptschulabschlusses).
a) Die Abiturprüfung ist Abschluss einer
schulischen Ausbildung und führt zur allgemeinen Hochschulreife (§ 1 der
Verordnung über die Abiturprüfung für Nichtschülerinnen und Nichtschüler -
PO-NSchA NRW - vom 30. Januar 2000, Gesetz- und Verordnungsblatt für das
Land Nordrhein-Westfalen 2000, 140). Um zur Prüfung zugelassen zu werden,
muss der Bewerber darlegen, dass er sich angemessen auf die Prüfung
vorbereitet hat, z.B. durch Selbststudium oder durch die Teilnahme an
Fernlehrgängen oder an anderen geeigneten Vorbereitungslehrgängen (§ 4
Abs. 3 PO-NSchA NRW). Die obere Schulaufsichtsbehörde informiert und berät
über die Regelungen der Abiturprüfung und über die Prüfungsanforderungen
(§ 5 Abs. 1 i.V.m. § 2 PO-NSchA NRW), der Vorsitzende des
Fachprüfungsausschusses oder ein von ihm bestimmtes Ausschussmitglied berät
in Fragen der fachlichen Vorbereitung und des Prüfungsverfahrens (§ 5 Abs. 2
PO-NSchA NRW). Die Prüfung selbst umfasst insgesamt acht Fächer und setzt
sich aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil zusammen (§ 3 Abs. 3
PO-NSchA NRW). Nach Bestehen der beiden Prüfungsteile erkennt der Zentrale
Abiturausschuss die allgemeine Hochschulreife zu (§ 17 PO-NSchA NRW).
Bereitet sich ein Kind ernsthaft auf das Abitur für Nichtschüler vor, ist es
nicht gerechtfertigt, im Hinblick auf die fehlende schulische
Mindestorganisation eine Berufs- bzw. Schulausbildung des Kindes zu
verneinen und kein Kindergeld zu gewähren; denn in solchem Fall wird die
Leistungsfähigkeit der Eltern durch Unterhaltsaufwendungen für das Kind
ebenso gemindert wie bei der Abiturvorbereitung auf einem Gymnasium.
b) Diesem Ergebnis steht die
höchstrichterliche Rechtsprechung zur Kindergeldgewährung bei sog.
Au-Pair-Aufenthalten im Ausland nicht entgegen. Bei einem Auslandsaufenthalt
im Rahmen eines Au-Pair-Verhältnisses, der auch dem Erwerb berufsbezogener
Sprachkenntnisse dient, ist darauf abzustellen, ob das Kind an einem
theoretisch-systematischen Unterricht teilnimmt (BFH-Urteile in BFHE 189,
88, BStBl II 1999, 701; vom 9. Juni 1999 VI R 143/98, BFHE 189, 107, BStBl
II 1999, 710, und VI R 24/99, BFH/NV 2000, 27; vom 19. Februar 2002
VIII R 83/00, BFHE 198, 192, BStBl II 2002, 469; Senatsbeschluss vom
31. August 2006 III B 39/06, BFH/NV 2006, 2256). Dieses Erfordernis dient
jedoch in erster Linie dazu, eine Abgrenzung zu Urlaubsaufenthalten zu
ermöglichen. Liegen die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen
vor, ist der Sprachaufenthalt im Ausland als Berufsausbildung zu
qualifizieren. Ein Au-Pair-Aufenthalt im Ausland ist aber mit einer üblichen
Schul- oder Universitätsausbildung nicht zu vergleichen.
3. Da eine ernsthafte Abiturvorbereitung
jedenfalls seit dem Monat der Anmeldung (September 2002) als
Berufsausbildung zu beurteilen ist, sind die Monate Juli und August 2002
zumindest als Übergangszeit nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG
anzusehen, sofern die Familienkasse zu dem Ergebnis kommen sollte, dass
sämtliche Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld im nachfolgenden
Zeitraum erfüllt sind.
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