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BFH-Urteil vom 19.3.2009 (V R 48/07) BStBl. 2010 II S. 92

1. Eine aufgrund unzutreffenden Steuerausweises in einer Rechnung gemäß § 14 Abs. 2 UStG entstandene nicht entrichtete Steuer ist gemäß § 233a AO zu verzinsen. Die aufgrund des Steuerausweises entstandene Umsatzsteuerschuld besteht bis zur - ohne Rückwirkung eintretenden - Berichtigung des Steuerbetrags.

2. Eine rückwirkende Berichtigung unzutreffend ausgewiesener Steuer widerspricht dem Regelungszweck des § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG. Für eine sachliche Unbilligkeit der Verzinsung von derartigen Umsatzsteuernachforderungen ist deshalb kein Anhaltspunkt ersichtlich.

3. Eine ermessenslenkende Billigkeitsregelung der Verwaltung, wonach Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen sind, wenn ein Unternehmer eine unrichtige Endrechnung, die eine Steuerschuld nach § 14 Abs. 2 UStG auslöst, in einem auf das Kalenderjahr der ursprünglichen Rechnungserteilung folgenden Kalenderjahr nach Aufdeckung seines Fehlers sogleich berichtigt hat, bindet die Gerichte nicht.

4. Ein aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitender Anspruch gegenüber einer Behörde auf Fortführung einer gesetzwidrigen Verwaltungspraxis besteht nicht.

UStG 1993 § 14 Abs. 1 Satz 6, § 14 Abs. 2, § 17 Abs. 1; AO § 227, § 233a; GG Art. 3 Abs. 1; FGO § 102; BMF-Schreiben vom 1. April 1996 (BStBl I 1996, 370, nunmehr Nr. 70.2.3 AEAO zu § 233a AO, BStBl I 2008, 26, 181).

Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 17. Mai 2006 4 K 4757/01 AO

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer über den bisherigen Umfang hinaus in voller Höhe zu erlassen sind.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war in den Jahren 1994 bis 1996 (Streitjahre) Organträgerin der A-GmbH und der B-GmbH.

Im Jahr 1998 übertrug die Klägerin die A-GmbH und die B-GmbH auf die L-GmbH als neue Organträgerin.

Die A-GmbH und die B-GmbH hatten in den Streitjahren 1994 bis 1996 in Endrechnungen unberechtigt Umsatzsteuerbeträge gesondert ausgewiesen. Dies wurde 1999 im Rahmen einer Außenprüfung festgestellt (Prüfungsbericht vom 30. August 1999).

Daraufhin erließ das seinerzeit für die Klägerin zuständige Finanzamt M am 12. November 1999 gegenüber der Klägerin geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre, in denen es gestützt auf § 14 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) die Umsatzsteuer um insgesamt 5.318.191 DM erhöhte und gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO) Nachzahlungszinsen in Höhe von 540.187 DM (1994), 221.386 DM (1995) und 130.834 DM (1996), insgesamt 892.407 DM, festsetzte.

Am 17. Dezember 1999 reichte die Klägerin beim Finanzamt M eine berichtigte Umsatzsteuer-Voranmeldung für Januar 1999 ein, in der sie unter Hinweis auf Rechnungsberichtigungen ihrer ehemaligen Organgesellschaften A-GmbH und B-GmbH einen Erstattungsanspruch in Höhe von 5.318.191 DM geltend machte. Sie führte dazu aus: "Diese Beträge wurden im Rahmen der Rechnungsberichtigung der ehemaligen Organgesellschaften im Januar 1999 dem Finanzamt gemeldet und werden nunmehr als Erstattungsanspruch des ehemaligen Organträgers in dieser berichtigten Voranmeldung geltend gemacht."

Am 20. Dezember 1999 zahlte die Klägerin die durch den Bescheid vom 12. November 1999 festgesetzte Umsatzsteuernachforderung für die Streitjahre (5.318.191 DM) durch Verrechnung mit ihrem eigenen Körperschaftsteuerguthaben.

Das für die L-GmbH als neue Organträgerin der A-GmbH und B-GmbH zuständige Finanzamt A hatte der L-GmbH bereits am 21. Juni 1999 3.457.919 DM und am 8. Dezember 1999  1.860.272 DM (insgesamt also 5.318.191 DM) erstattet. Die L-GmbH hatte "aus berichtigten Rechnungsstellungen Umsatzsteuererstattungsansprüche beim Finanzamt A geltend gemacht" und entsprechende Zahlungen erhalten.

Dies ergibt sich aus einem zwischen der Klägerin und der L-GmbH abgeschlossenen Vergleich, in dem sich die L-GmbH verpflichtete, den Betrag von 5.318.191 DM an das Finanzamt A zurückzuzahlen und dabei mitzuwirken, dass dieser Betrag an die Klägerin ausgezahlt wird.

Im Dezember 2000 zahlte die L-GmbH 5.318.191 DM an das Finanzamt A zurück.

Am 14. Februar 2001 erstattete der nunmehr für die Klägerin zuständig gewordene Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) der Klägerin diesen Betrag.

Unter dem 28. März 2000 hatte die Klägerin den Erlass der durch Bescheid vom 12. November 1999 in Höhe von 892.407 DM festgesetzten Nachzahlungszinsen beantragt und sich zur Begründung auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 1. April 1996 IV A4 -S 0460a- 20/96 zur "Verzinsung von Umsatzsteuernachforderungen nach § 233a AO aufgrund fehlerhafter Endrechnungen; Billigkeitsmaßnahmen" (BStBl I 1996, 370) berufen.

Das BMF-Schreiben in BStBl I 1996, 370 - vgl. nunmehr Nr. 70.2.3 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 233a AO, BMF-Schreiben vom 2. Januar 2008 IV A4 -S 0062- 07/0001, BStBl I 2008, 26, 181 - lautet:

"Werden in einer Endrechnung oder der zugehörigen Zusammenstellung die vor der Leistung vereinnahmten Teilentgelte und die auf sie entfallenden Umsatzsteuerbeträge nicht abgesetzt oder angegeben, so hat der Unternehmer den gesamten in der Endrechnung ausgewiesenen Steuerbetrag an das Finanzamt abzuführen. Der Unternehmer schuldet die in der Endrechnung ausgewiesene Steuer, die auf die vor Ausführung der Leistung vereinnahmten Teilentgelte entfällt, nach § 14 Abs. 2 UStG. Erteilt der Unternehmer dem Leistungsempfänger nachträglich eine berichtigte Endrechnung, die den Anforderungen des § 14 Abs. 1 letzter Satz UStG genügt, so kann er die von ihm geschuldete Steuer in dem Besteuerungszeitraum berichtigen, in dem die berichtigte Endrechnung erteilt wird (vgl. Abschnitte 187 Abs. 10 und 223 Abs. 8 UStR 1996). Hat der Unternehmer die aufgrund der fehlerhaften Endrechnung nach § 14 Abs. 2 UStG geschuldete Steuer nicht in seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung berücksichtigt, kann die Nachforderung dieser Steuer im Rahmen der Steuerfestsetzung für das Kalenderjahr zur Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO führen, wenn der Unternehmer die Endrechnung erst in einem auf das Kalenderjahr der ursprünglichen Rechnungserteilung folgenden Kalenderjahr berichtigt hat.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder ist die Erhebung von Nachzahlungszinsen in derartigen Fällen sachlich unbillig, weil die zu verzinsende Steuernachforderung lediglich darauf beruht, dass die Steuer nicht rückwirkend in dem Besteuerungszeitraum der ursprünglichen Rechnungserteilung berichtigt werden kann. Deshalb sind die in derartigen Fällen festgesetzten Nachzahlungszinsen zu erlassen, wenn der Unternehmer nach Aufdeckung seines Fehlers sogleich eine berichtigte Endrechnung erteilt."

Daraufhin erließ das FA von den insgesamt festgesetzten Nachzahlungszinsen (892.407 DM) Nachzahlungszinsen für 1994 in Höhe von 477.375 DM, für 1995 in Höhe von 197.794 DM und für 1996 in Höhe von 130.834 DM, insgesamt also 805.963 DM, so dass noch Zinsen zur Umsatzsteuer 1994 in Höhe von 62.812 DM und zur Umsatzsteuer 1995 in Höhe von 23.632 DM, insgesamt also 86.444 DM, offenblieben.

Zur Begründung führte das FA im Schreiben vom 17. Januar 2001 aus, im Fall von geänderten Endrechnungen könnten die Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen gemäß § 227 AO dann erlassen werden, "wenn den Nachzahlungszinsen für die Nachforderung keine Guthabenzinsen für den positiven Betrag gegenüberstehen, die entsprechend verrechenbar wären". Ein Erlass der Nachzahlungszinsen in voller Höhe komme nicht in Betracht, da die unbillige Härte, die die Voraussetzung für einen Erlass darstelle, ab dem Zeitpunkt nicht mehr vorliege, in dem der Guthabensbetrag erstattet worden sei. Dies sei bereits zum 21. Juni 1999 bzw. zum 8. Dezember 1999 der Fall gewesen und für den Erlass berücksichtigt worden. Da ab diesen Zeitpunkten der Liquiditätsvorteil auf Seiten der Steuerpflichtigen eindeutig bestanden habe, würde ein Vollerlass ausschließlich zu Lasten der Allgemeinheit gehen. Es könne daher nicht unbillig sein, ab dem Zeitpunkt der Erstattungen die Zahlung der Zinsen zu verlangen.

Nachdem die Klägerin eingewendet hatte, nicht ihr, sondern der L-GmbH seien die Beträge erstattet worden, lehnte das FA durch Bescheid vom 9. März 2001 einen vollständigen Erlass der Nachzahlungszinsen (nochmals) ab und führte zur Begründung aus:

Es stehe fest, dass auf Seiten der L-GmbH durch die Erstattung eindeutig ein Zinsvorteil bestanden habe. Dieser Zinsvorteil könne nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, indem ein vollständiger Zinserlass gewährt werde. Die Zinsen für die Klägerin und der Zinsvorteil auf Seiten der L-GmbH hätten in den zwischen ihnen bezüglich der gesamten Vorgänge geschlossenen Vergleich einbezogen werden müssen.

Den Einspruch der Klägerin wies das FA durch Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2001 mit im Wesentlichen entsprechender Begründung zurück.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte zur Begründung u.a. aus:

Ein Erlass von Nachzahlungszinsen sei nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 1996, 370 nur dann auszusprechen, wenn sogleich nach Aufdeckung des Fehlers durch den Unternehmer berichtigte Endrechnungen erteilt würden. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen habe durch den Senat nicht festgestellt werden können.

Weil nicht feststehe, ob die Rechnungen tatsächlich berichtigt worden seien, komme ein Erlass des Restbetrages schon aus diesem Grunde nicht in Betracht, ohne dass es auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage ankomme, ob von einem (Teil-) Erlass "ein Liquiditätsvorteil, der auf der Klägerseite bestanden haben müsste", auszunehmen wäre. Im Übrigen habe ein derartiger Vorteil bei der Klägerin vorgelegen und darin bestanden, dass sie als Organträgerin die aufgrund der von ihren Organgesellschaften fehlerhaft erteilten Endrechnungen nach § 14 Abs. 2 UStG bereits in den Jahren 1994 bis 1996 geschuldeten Umsatzsteuern erst nach Aufdeckung des Fehlers am 20. Dezember 1999 durch Verrechnung gezahlt habe. Käme es darauf an, wäre dieser Liquiditätsvorteil von einem Erlass der Nachzahlungszinsen (bei Vorliegen aller hierfür erforderlichen Voraussetzungen) auszunehmen gewesen, wie dies durch das FA geschehen sei.

Mit der Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, das FG habe mit seinem Urteil den Überprüfungsspielraum nach § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für Ermessensentscheidungen überschritten. Denn es habe die Ermessenserwägungen des FA durch eigene Ermessenserwägungen ersetzt und insbesondere nicht beachtet, dass das FA die Voraussetzungen des BMF-Schreibens in BStBl I 1996, 370 dem Grunde nach anerkannt und nur für einen Teilbetrag - mit unzutreffender Begründung - einen Erlass versagt habe.

Überdies könne der vom FG in der verspäteten Zahlung der für die Altjahre geschuldeten Umsatzsteuern gesehene Liquiditätsvorteil einem Erlass deswegen nicht entgegenstehen, weil er gesetzlich notwendige Bedingung der Entstehung von Nachzahlungszinsen sei. Das FA könne einem Rechtsanspruch auf vollständigen Erlass von Zinsen nicht entgegenhalten, dass es eigeninitiativ rechtswidrig in einem anderen Steuerschuldverhältnis die Beträge an einen Unberechtigten (die L-GmbH) ausgezahlt habe. Ein derartiges Verhalten sei der Klägerin nach keinem Gesichtspunkt zuzurechnen. Eine Berücksichtigung dieser Erstattung stelle einen Ermessensfehlgebrauch dar.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung, des Ablehnungsbescheids vom 9. März 2001 und der Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2001 das FA zu verpflichten, weitere Nachzahlungszinsen in Höhe von 86.444 DM zu erlassen, hilfsweise, den Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) neu zu bescheiden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf vollständigen Erlass der durch die Bescheide vom 12. November 1999 festgesetzten Nachzahlungszinsen hat. Sie hat auch keinen Anspruch auf Neubescheidung ihres Erlassantrags.

1. Gemäß § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen gehören auch die Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen wie die hier angegriffenen Zinsfestsetzungen (§ 37 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 3 - jetzt § 3 Abs. 4 - AO).

2. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist. Die Nachprüfung einer Erlassablehnung ist deshalb darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

3. Sachliche Billigkeitsgründe i.S. des § 227 AO, die hier allein in Betracht kommen und auf die die Klägerin ihren Antrag auf vollständigen Erlass bzw. auf Neubescheidung ihres Erlassantrags stützt, sind nicht gegeben.

a) Unbilligkeit aus sachlichen Gründen i.S. des § 227 AO kann gegeben sein, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, stehen jedoch dem Erlass entgegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16. August 2001 V R 72/00, BFH/NV 2002, 545, unter II.2.a, m.w.N.).

Im Streitfall widersprechen die von der Klägerin geltend gemachten Umstände nicht den der Verzinsungsregelung des § 233a AO zugrunde liegenden Wertungen.

b) Führt die Festsetzung von Umsatzsteuer zu einer Steuernachforderung oder Steuererstattung, ist diese nach § 233a Abs. 1 Satz 1 AO in den in den Streitjahren geltenden Fassungen zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO).

aa) Zweck des § 233a AO ist es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden (so die Gesetzesbegründung in BTDrucks 11/2157, S. 194; vgl. ferner z.B. BFH-Urteil vom 20. Januar 1997 V R 28/95, BFHE 183, 353, BStBl II 1997, 716).

bb) Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO grundsätzlich rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat, weil er von der Zahlung der geschuldeten Steuer - wegen unzutreffender Steuerfestsetzung - vorerst "freigestellt" war (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 545, unter II.2.b, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 28. Oktober 2005 V B 196/04, BFH/NV 2006, 245).

Das gilt auch bei einer Steuer, die wegen unzutreffenden Steuerausweises in einer Rechnung gemäß § 14 Abs. 2 UStG entstanden ist - wie im Streitfall - (vgl. bereits BFH-Beschluss vom 6. August 1996 V B 51/95, BFH/NV 1997, 165). Das Gesetz enthält insoweit in § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG eine eindeutige Regelung. Danach besteht die aufgrund des unrichtigen Steuerausweises entstandene Umsatzsteuer bis zur - ohne Rückwirkung eintretenden - Berichtigung des Steuerbetrags. Denn die Berichtigung ist nach § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist. Für die Rechnungsberichtigung, auf die § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG entsprechend anzuwenden ist, bedeutet dies, dass erst im Zeitpunkt der Rechnungsberichtigung der nach § 14 Abs. 2 UStG geschuldete Steuerbetrag zu berichtigen war (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 545, unter II.2.c aa, m.w.N.).

Eine rückwirkende Berichtigung unzutreffend ausgewiesener Steuer widerspräche dem Regelungszweck des § 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG. Für eine sachliche Unbilligkeit der Verzinsung von derartigen Umsatzsteuernachforderungen ist deshalb kein Anhaltspunkt ersichtlich (vgl. BFH-Urteil vom 19. November 2002 V R 66/00, BFH/NV 2003, 591; BFH-Beschluss vom 6. April 2005 V B 60/04, BFH/NV 2005, 1976, jeweils m.w.N.).

cc) Im Streitfall ist der Klägerin durch die Nichtentrichtung der von ihr als Organträgerin der A-GmbH und der B-GmbH nach § 14 Abs. 2 UStG in den Streitjahren 1994 bis 1996 in Höhe von insgesamt 5.318.191 DM geschuldeten Steuer ein Liquiditätsvorteil entstanden.

Davon ist das FA bei der Ablehnung eines weitergehenden Erlasses in den angefochtenen Bescheiden ebenfalls ausgegangen, wie sich insbesondere aus der Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2001 ergibt, in der es u.a. heißt, derjenige, dessen Steuer später festgesetzt werde, habe gegenüber demjenigen, dessen Steuer bereits frühzeitig festgesetzt werde, einen Zeitvorteil, der die Gleichmäßigkeit der Besteuerung in Frage stelle; hier schaffe die Vollverzinsung einen Ausgleich.

Es ist deshalb letztlich ohne Belang, dass das FA in den angefochtenen Bescheiden einen vollständigen Erlass aus Billigkeitsgründen im Ergebnis mit dem - unerheblichen und unzutreffenden - Hinweis abgelehnt hat, durch die Erstattungen der Teilbeträge an die L-GmbH sei bei dieser ein "tatsächlicher Zinsvorteil" entstanden, den die Klägerin sich zurechnen lassen müsse.

dd) Da - wie dargelegt - die Klägerin die zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG bis zur Berichtigung der Rechnungen schuldete, bestand der Liquiditätsvorteil der Klägerin bis zu einer derartigen Rechnungsberichtigung, längstens jedoch bis zur Zahlung der geschuldeten Steuer durch die Klägerin durch Verrechnung am 20. Dezember 1999. Dies steht ihrem Revisionsbegehren, über die bereits vom FA erlassenen 805.963 DM weitere Nachzahlungszinsen in Höhe von 86.444 DM zu erlassen bzw. das FA zur Neubescheidung zu verpflichten, entgegen, ohne dass es auf eine genaue Festlegung ankäme (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 2, § 121 Satz 1 FGO).

Dass die A-GmbH und die B-GmBH die von ihnen in den Streitjahren 1994 bis 1996 erteilten Rechnungen tatsächlich berichtigt haben, hat das FG nicht feststellen können.

Selbst wenn man aber entsprechend der Behauptung der Klägerin davon ausgeht, dass die A-GmbH und die B-GmbH ihre Rechnungen berichtigt haben, geschah dies (erst) im Januar 1999. Diesen Zeitpunkt hat die Klägerin in ihrer berichtigten Umsatzsteuer-Voranmeldung für Januar 1999 vom 17. Dezember 1999 genannt. Er ist auch in den Erläuterungen zu den Bescheiden vom 12. November 1999 genannt. Danach hätte der Liquiditätsvorteil der Klägerin jedenfalls bis Januar 1999 bestanden.

4. Die Klägerin beruft sich ohne Erfolg auf das BMF-Schreiben in BStBl I 1996, 370 (vgl. nunmehr Nr. 70.2.3 AEAO zu § 233a AO, BMF-Schreiben in BStBl I 2008, 26, 181), wonach Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen "zu erlassen sind", wenn ein Unternehmer eine unrichtige Endrechnung, die eine Steuerschuld nach § 14 Abs. 2 UStG auslöst, in einem auf das Kalenderjahr der ursprünglichen Rechnungserteilung folgenden Kalenderjahr nach Aufdeckung seines Fehlers sogleich berichtigt hat.

a) Bei dieser "Billigkeitsmaßnahme" (vgl. die Überschrift im BMF-Schreiben in BStBl I 1996, 370) handelt es sich um eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift (vgl. für eine Verwaltungsvorschrift zum Erlass von Säumniszuschlägen: BFH- Beschluss vom 11. März 2003 VII B 208/02, BFH/NV 2003, 816, unter II.1.a). Denn bei der Frage, ob die Einziehung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre, bestimmt der Maßstab der Billigkeit Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens (vgl. zu § 131 Abs. 1 Satz 1 der Reichsabgabenordnung: Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603).

b) Derartige ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften können unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung und damit der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG -) bei der gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen von Bedeutung sein (vgl. BFH- Beschluss in BFH/NV 2003, 816, unter II.1.a, m.w.N.).

Das gilt aber nur, wenn sich die in ihnen getroffenen Regelungen innerhalb der Grenzen halten, die das GG und die Gesetze der Ausübung des Ermessens setzen, d.h. bei einer Billigkeitsrichtlinie - wie hier - muss die getroffene Regelung Recht und Billigkeit entsprechen (vgl. BFH-Urteil vom 25. November 1980 VII R 17/78, BFHE 132, 159, BStBl II 1981, 204, unter C.II.3.a)

Dass ist - wie unter II. 3. b bb dargelegt - nicht der Fall. Denn eine rückwirkende Berichtigung unzutreffend ausgewiesener Steuer, wie sie die Billigkeitsregelung in BStBl I 1996, 370 im Ergebnis anordnet, widerspricht dem Regelungszweck des § 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG. Für eine sachliche Unbilligkeit der Verzinsung von derartigen Umsatzsteuernachforderungen ist deshalb kein Anhaltspunkt ersichtlich.

Überdies verstößt die Billigkeitsregelung in BStBl I 1996, 370 gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Denn es gibt keinen Grund dafür, einen Erlass von Nachzahlungszinsen nur für den Fall unrichtiger Endrechnungen (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 6 UStG) vorzusehen und nicht für sonstige unrichtige Rechnungen i.S. von § 14 Abs. 2 UStG.

Ein aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitender Anspruch gegenüber einer Behörde auf Fortführung einer gesetzwidrigen Verwaltungspraxis besteht nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 3. Februar 2005 I B 152/04, BFH/NV 2005, 1214, m.w.N.).