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BFH-Urteil
vom 28.5.2009 (III R 84/06) BStBl. 2009 II S. 949 1.
Teilt der Sachbearbeiter nach Aufgabe des Steuerbescheids zur Post, aber vor
dessen Zugang, den Empfangsbevollmächtigten telefonisch mit, der Bescheid
sei falsch und solle deshalb nicht bekanntgegeben werden, wird der Bescheid
trotz des späteren Zugangs nicht wirksam. 2.
Nimmt ein nicht zur Entgegennahme von Willenserklärungen ermächtigter
Mitarbeiter der Empfangsbevollmächtigten die Mitteilung entgegen, ist diese
den Empfangsbevollmächtigten zu dem Zeitpunkt zugegangen, zu dem unter
regelmäßigen Umständen damit zu rechnen ist, dass der Mitarbeiter als
Empfangsbote die Mitteilung weiterleitet. AO
§§ 122, 124; BGB § 130 Abs. 1 Satz 1. Vorinstanz:
Niedersächsisches FG vom 19. September 2006 13 K 40/06 (EFG
2007, 78) Sachverhalt I. Die
Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) setzte mit Bescheid vom
6. Oktober 2005 gegen die Kläger Aussetzungszinsen für den Zeitraum
28. August 2001 bis 15. Oktober 2005 fest. Der Bescheid war an die
Prozessbevollmächtigten als Empfangsbevollmächtigte der Kläger
adressiert. Die Poststelle des FA gab den Bescheid am Vormittag des 6. Oktober
2005 zur Post. Danach
fiel dem Sachbearbeiter auf, dass er versehentlich von einem falschen
Zinsbeginn ausgegangen war. Laut Aktenvermerk vom 6. Oktober 2005 rief
er deshalb in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Kläger an und
teilte einem Mitarbeiter der Kanzlei mit, der am Vormittag versandte
Zinsbescheid sei falsch und solle deshalb nicht bekanntgegeben werden; es
komme ein neuer Bescheid. Der Mitarbeiter bestätigte im finanzgerichtlichen
Verfahren, dass ihn der Sachbearbeiter des FA am späten Vormittag des 6. Oktober
2005 angerufen habe. Der Zinsbescheid vom 6. Oktober 2005 ging am 7. Oktober
2005 bei der Kanzlei ein. Mit
Bescheid vom 17. Oktober 2005 setzte das FA dann höhere Zinsen für
den Zeitraum 21. Januar 1998 bis 15. Oktober 2005 fest. Gegen
den Bescheid vom 17. Oktober 2005 legten die Kläger Einspruch mit der
Begründung ein, dieser Bescheid habe nicht erlassen werden dürfen, da der
Bescheid vom 6. Oktober 2005 wirksam geworden sei; die Voraussetzungen
der §§ 172 der Abgabenordnung (AO) für eine Änderung dieses
Bescheids lägen nicht vor. Der Einspruch blieb erfolglos. Das
Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob den Bescheid vom 17. Oktober
2005 sowie den Einspruchsbescheid vom 20. Dezember 2005 durch Urteil
vom 19. September 2006 13 K 40/06 (Entscheidungen der
Finanzgerichte 2007, 78) auf. Der Bescheid vom 6. Oktober 2005 sei
durch die Bekanntgabe gegenüber den Prozessbevollmächtigten der Kläger
wirksam geworden. Denn der Bekanntgabewille könne nur so lange aufgegeben
werden, bis der Bescheid den Herrschaftsbereich der Behörde verlassen habe.
Zwar könne das FA die in dem Zinsbescheid enthaltene Willenserklärung in
Anlehnung an § 130 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (BGB) bis zum Zugang beim Empfänger widerrufen. Sei der
Bescheid schriftlich ergangen, sei aber auch ein Widerruf nur schriftlich möglich.
Mit
seiner Revision trägt das FA vor, entgegen der Auffassung des FG sei für
den Widerruf keine Schriftform erforderlich. Der Zinsbescheid vom 6. Oktober
2005 sei daher aufgrund des Telefonats mit dem Mitarbeiter der
Prozessbevollmächtigten nicht wirksam geworden. Das
FA beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage
abzuweisen. Die
Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen. Entscheidungsgründe II. Die
Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen
Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der
angefochtene Zinsbescheid vom 17. Oktober 2005 ist rechtmäßig. 1.
Entgegen der Auffassung des FG wurde der Zinsbescheid vom 6. Oktober
2005 nicht wirksam. a)
Zinsen werden nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO nach den Regeln für
Steuerbescheide (§ 155 ff. AO) festgesetzt. Als Verwaltungsakt
ist der Zinsbescheid demjenigen bekanntzugeben, für den er bestimmt ist
oder der von ihm betroffen wird (§ 122 Abs. 1 AO) oder einem
Bevollmächtigten (§ 122 Abs. 1 Satz 2 AO). Nach § 124
Abs. 1 AO wird der Zinsbescheid erst mit der Bekanntgabe wirksam. b)
Eine wirksame Bekanntgabe setzt voraus, dass der zum Erlass befugte Beamte
diese veranlasst und dass er mit dem Willen handelt, den Bescheid
bekanntzugeben (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. November
1988 V R 123/83, BFHE 155, 466, BStBl II 1989, 344; Frotscher in
Schwarz, AO, § 122 Rz 11). Der Bekanntgabewille wird regelmäßig
dadurch gebildet, dass der zeichnungsberechtigte Beamte den Bescheid
abzeichnet und die Ausfertigung des Bescheids der Poststelle des FA zur
Absendung zuleitet. c)
Wird der Wille zur Bekanntgabe aufgegeben, bevor der Bescheid den
Herrschaftsbereich der Behörde verlassen hat, und wird dies in den Akten
eindeutig dokumentiert, wird der Bescheid nach der Rechtsprechung des BFH
trotz des Bekanntgabeakts nicht wirksam (BFH-Urteil vom 23. August 2000
X R 27/98, BFHE 193, 19, BStBl II 2001, 662, m.w.N.). Unbeachtlich
ist die Aufgabe des Bekanntgabewillens jedoch, wenn der Bescheid - wie im
Streitfall - den Herrschaftsbereich der Behörde bereits verlassen hat
(BFH-Urteil vom 12. August 1996 VI R 18/94, BFHE 180, 538,
BStBl II 1996, 627; Frotscher, a.a.O., § 122 Rz 12). d)
Unabhängig vom Zeitpunkt der Aufgabe des Bekanntgabewillens wird ein
Bescheid aber auch dann nicht wirksam, wenn die Behörde dem Empfänger vor
oder mit dem Zugang des Bescheids mitteilt, der Bescheid solle nicht gelten
und ein neuer Bescheid erlassen werden (gl.A. Frotscher, a.a.O., § 124
Rz 12; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung,
§ 124 AO Rz 14). Für
die Entscheidung, wann Willenserklärungen im öffentlichen Recht wirksam
werden, sind die zivilrechtlichen Grundsätze des § 130 BGB ergänzend
heranzuziehen (Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Februar
1994 4 B 212/93, Buchholz, Sammel- und Nachlagewerk der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 316, § 41 VwVfG Nr. 2;
vgl. z.B. auch BFH-Urteile vom 18. Oktober 1988 VII R 123/85,
BFHE 154, 446, BStBl II 1989, 76, unter I.2.b, und vom 20. Dezember
2006 X R 38/05, BFHE 216, 297, BStBl II 2007, 823; Stelkens, in
Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. § 41 Rz 7 f.). Die
Regelung, dass ein Verwaltungsakt mit der Bekanntgabe wirksam wird (§ 124
Abs. 1 AO), setzt voraus, dass der Verwaltungsakt eine empfangsbedürftige
Willenserklärung ist. Daher wird ein Verwaltungsakt entsprechend § 130
Abs. 1 Satz 2 BGB nur dann mit dem Zugang beim Empfänger wirksam,
wenn ihm nicht vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht (vgl. Stelkens,
a.a.O., § 41 Rz 7, 8). Ein Verwaltungsakt kann bis zu seiner
Bekanntgabe frei widerrufen oder aufgehoben werden, ohne dass die
Voraussetzungen in §§ 130, 131 AO für die Rücknahme oder den
Widerruf eines (wirksamen) Verwaltungsaktes bzw. die Voraussetzungen in
§§ 172 ff. AO für die Aufhebung oder Änderung von (wirksamen)
Steuerbescheiden vorliegen müssen (vgl. Stelkens, a.a.O., § 41 Rz 8,
und Liebetanz in Obermayer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl.,
§ 41 Rz 12). Aus
§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich nicht, dass eine
schriftliche Willenserklärung nur schriftlich widerrufen werden kann; eine
mündliche Mitteilung reicht aus (MünchKommBGB/ Einsele, 5. Aufl.,
§ 130 Rz 40; Frotscher, a.a.O., § 124 Rz 12). Entgegen
der Auffassung des FG ist Schriftform auch nicht aus Beweisgründen
erforderlich. Bestehen Zweifel, ob und wann das FA mitgeteilt hat, der noch
nicht zugegangene Bescheid solle nicht gelten, geht dies nach den Regeln der
objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten des FA. e)
Im Streitfall haben die Kläger ihre Prozessbevollmächtigten als
Empfangsbevollmächtigte bestellt, so dass es für die Wirksamkeit des
Zinsbescheids darauf ankommt, wann der Bescheid den Prozessbevollmächtigten
bekanntgegeben wurde und wann ihnen die Mitteilung des Sachbearbeiters
zuging, dass der Bescheid nicht gelten solle. Eine
Erklärung ist dem Empfänger zugegangen, wenn sie derart in seinen
Machtbereich gelangt ist, dass unter regelmäßigen Umständen damit zu
rechnen ist, dass er die Erklärung zur Kenntnis nimmt. Auf den tatsächlichen
Zeitpunkt der Kenntnisnahme kommt es nicht an. Wird die Erklärung einem
Empfangsboten übermittelt, ist sie daher zu dem Zeitpunkt zugegangen, zu
dem unter regelmäßigen Umständen damit zu rechnen ist, dass der
Empfangsbote die Erklärung weiterleitet (vgl. BFH-Urteil in BFHE 154, 446,
BStBl II 1989, 76, unter I.2.b). Selbst
wenn der Mitarbeiter der Prozessbevollmächtigten nicht zur Entgegennahme
von Willenserklärungen ermächtigt gewesen sein sollte, hat er die
telefonische Mitteilung über die Unwirksamkeit des noch nicht zugegangenen
Bescheids aber jedenfalls als Empfangsbote entgegengenommen. Unter normalen
Umständen war damit zu rechnen, dass die Prozessbevollmächtigten noch am
selben Tag von der Mitteilung Kenntnis erhielten. Damit ist die Mitteilung
den Prozessbevollmächtigten vor der Bekanntgabe des Zinsbescheids
zugegangen unabhängig davon, ob auf den tatsächlichen Zugang des
Zinsbescheids am 7. Oktober 2005 oder auf den nach § 122 Abs. 2
Nr. 1 AO fingierten Zugang am dritten Tag nach Aufgabe zur Post
abzustellen ist (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 2000 X R 96/98,
BFHE 193, 512, BStBl II 2001, 274). 2.
Da der Bescheid vom 6. Oktober 2005 nicht wirksam geworden ist, ist der
Zinsbescheid vom 17. Oktober 2005 ein erstmaliger Zinsbescheid. Das FA
durfte die Zinsen daher abweichend von dem (unwirksamen) Bescheid vom 6. Oktober
2005 festsetzen, ohne dass die Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift (§ 129
oder §§ 172 ff. AO) vorlagen. Eines Hinweises auf die
Unwirksamkeit des Bescheids vom 6. Oktober 2005 bedurfte es nicht.
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