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  BFH-Urteil vom 26.2.2003 (VI R 124/01) BStBl. 2004 II S. 69

1. Nutzt ein Steuerpflichtiger, der in einem Mehrfamilienhaus wohnt, eine zusätzliche Wohnung als Arbeitszimmer, so fällt diese jedenfalls dann noch unter die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG, wenn sie an die Privatwohnung unmittelbar angrenzt.

2. Die unmittelbare räumliche Nähe der zusätzlichen Wohnung begründet in einem solchen Fall die notwendige innere Verbindung mit der privaten Lebenssphäre des Steuerpflichtigen.

EStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b.

Vorinstanz: FG Münster vom 28. August 2001 11 K 1454/00 E (EFG 2001, 1546)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Vertriebsleiter und erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Bei seinem Arbeitgeber steht ihm kein Arbeitsplatz zur Verfügung.

Zusammen mit seiner Ehefrau, der Klägerin, bewohnt der Kläger eine Wohnung im Dachgeschoss eines Mehrfamilienhauses, das in vier Wohneinheiten aufgeteilt ist. Eine zweite, kleinere Wohnung, die ebenfalls im Dachgeschoss dieses Hauses liegt, nutzt der Kläger als Arbeitszimmer. Beide Wohnungen sind nicht unmittelbar miteinander verbunden, sondern können nur jeweils vom Flur des Treppenhauses aus betreten werden. Sie wurden aufgrund eines einheitlichen Mietvertrages angemietet. Bei der kleineren, als Arbeitszimmer genutzten Wohnung handelt es sich um ein 34 qm großes Apartment, das aus einem Raum mit einer Kochnische, einer Diele und einem Bad besteht.

Der Kläger ist im Außendienst beschäftigt. Seine Tätigkeit stellte sich im Streitjahr (1998) wie folgt dar:

- an 13 Tagen Dienstreisen von 8 bis 10 Stunden,
   
- an 28 Tagen Dienstreisen von 10 bis 12 Stunden,
   
- an 35 Tagen Dienstreisen von mehr als 12 Stunden,
   
- an 112 Tagen mehrtägige Dienstreisen im Inland,
   
- an 17 Tagen mehrtägige Dienstreisen ins Ausland
  (Niederlande, Finnland, Portugal, Schweiz).

An weiteren 31 Werktagen sowie - den eigenen Angaben zufolge - an 96 Samstagen und Sonntagen arbeitete der Kläger im häuslichen Büro.

Die als Werbungskosten geltend gemachten Aufwendungen für das Arbeitszimmer in Höhe von 6.023 DM erkannte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lediglich im Betrag von 2.400 DM an.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1546 veröffentlichten Gründen ab. Das beruflich genutzte Apartment stelle ein "häusliches" Arbeitszimmer i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) dar; es bilde auch nicht den Mittelpunkt der gesamten beruflichen Betätigung des Klägers.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG. Die beruflich genutzte Wohnung sei kein häusliches Arbeitszimmer. Sie weise keine Verbindung zu der privaten Wohnung auf und diene seit 1987 ausschließlich beruflichen Zwecken. Darüber hinaus bilde das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten beruflichen Betätigung des Klägers. Zum einen entfielen mehr als 50 v.H. der Gesamttätigkeit auf den Innendienst; zum anderen könne der Außendienst ohne die Innendiensttätigkeit nicht geleistet werden.

Die Kläger beantragen, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA tritt der Revision entgegen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Kläger ist unbegründet. Das FG hat zutreffend entschieden, dass es sich bei dem beruflich genutzten Ein-Zimmer-Apartment um ein häusliches Arbeitszimmer handelt und dieses nicht den Mittelpunkt der gesamten beruflichen Betätigung des Klägers bildet.

1. Nach § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 1 EStG kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht als Werbungskosten abziehen. Dies gilt nach Satz 2 der letztgenannten Vorschrift u.a. dann nicht, wenn dem Steuerpflichtigen für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesem Fall wird nach Satz 3 Halbsatz 1 der Vorschrift (in der hier maßgeblichen Fassung) die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 2.400 DM begrenzt. Die Beschränkung der Höhe nach gilt nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet (Satz 3 Halbsatz 2 der Vorschrift).

2. Ein als Arbeitszimmer genutztes Ein-Zimmer-Apartment ist jedenfalls dann noch der häuslichen Sphäre zuzurechnen, wenn es im Dachgeschoss eines Mehrfamilienhauses unmittelbar an die Privatwohnung des Steuerpflichtigen angrenzt.

a) Der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers ist im Gesetz nicht näher bestimmt. Der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zufolge erfasst die Abzugsbeschränkung das häusliche Büro, d.h. einen Arbeitsraum, der seiner Lage, Funktion und Ausstattung nach in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist und vorwiegend der Erledigung gedanklicher, schriftlicher oder verwaltungstechnischer Arbeiten dient (BFH-Urteile vom 19. September 2002 VI R 70/01, BFHE 200, 336, BStBl II 2003, 139; vom 16. Oktober 2002 XI R 89/00, BStBl II 2003, 185; vom 13. November 2002 VI R 164/00, BFH/NV 2003, 550).

b) In die häusliche Sphäre eingebunden ist ein Arbeitszimmer regelmäßig dann, wenn es sich in einem Raum befindet, der zur privat genutzten Wohnung bzw. zum Wohnhaus des Steuerpflichtigen gehört (BFH-Urteile vom 23. September 1999 VI R 74/98, BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7, 8; in BStBl II 2003, 185, und in BFH/NV 2003, 550). Dies betrifft nicht nur die eigentlichen Wohnräume, sondern ebenso Zubehörräume (Abstell-, Keller- und Speicherräume etc.). Kann hingegen ein als Arbeitszimmer genutzter Raum nicht der privaten Wohnung bzw. dem Wohnhaus des Steuerpflichtigen zugerechnet werden, so ist er in der Regel auch kein "häusliches" Arbeitszimmer.

In diesem Sinne hat der Senat die "Häuslichkeit" eines Arbeitszimmers im Keller des von dem Steuerpflichtigen und seiner Familie bewohnten Einfamilienhauses grundsätzlich bejaht (BFH-Urteil in BFHE 200, 336, BStBl II 2003, 139). Das Gleiche gilt für ein Arbeitszimmer in einem Anbau zum Einfamilienhaus, der nur vom straßenabgewandten Garten aus betreten werden kann (BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 550), und für ein Arbeitszimmer im Dachgeschoss eines Einfamilienhauses (BFH-Urteil vom 26. Februar 2003 VI R 156/01, zur Veröffentlichung bestimmt).

c) Wohnt der Steuerpflichtige in einem Mehrfamilienhaus und nutzt er eine zusätzliche Wohnung, die an die Privatwohnung angrenzt, als Arbeitszimmer, so wird durch die unmittelbare räumliche Nähe eine innere, "häusliche" Verbindung mit der privaten Lebenssphäre begründet.

aa) Zwar erschöpft sich der in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG verwendete Begriff "häuslich" dem allgemeinen Wortsinn nach nicht in Formulierungen wie "räumlicher Zusammenhang", "bauliche Einheit" oder "in demselben Gebäude". Er setzt vielmehr eine innere Verbindung mit der privaten Lebenssphäre des Steuerpflichtigen voraus. Eine solche innere Verbindung liegt bei einem Mehrfamilienhaus nicht allein deshalb vor, weil sich eine als Arbeitszimmer genutzte Wohnung in demselben Haus und unter demselben Dach wie die Privatwohnung des Steuerpflichtigen befindet.

Grenzt jedoch die zusätzliche Wohnung direkt an die Privatwohnung an, ist der sich hieraus ergebende Unterschied zu einem in der Wohnung befindlichen Arbeitszimmer nur geringfügig. Aufgrund der unmittelbaren räumlichen Nähe ist in diesem Fall auch die notwendige innere Verbindung mit der Privatwohnung zu bejahen. Die als Arbeitszimmer genutzte Wohnung ist daher der häuslichen Sphäre zuzurechnen.

bb) Sinn und Zweck der Abzugsbeschränkung bestätigen diese Auslegung des Begriffs "häuslich".

Die Regelung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG dient der typisierenden Begrenzung von Aufwendungen, die eine Berührung mit dem privaten Lebensbereich des Steuerpflichtigen aufweisen und damit in einer Sphäre anfallen, die einer sicheren Nachprüfung durch Finanzverwaltung und Finanzgerichte entzogen ist (BFH-Urteile vom 27. September 1996 VI R 47/96, BFHE 181, 305, BStBl II 1997, 68, 70; vom 21. November 1997 VI R 4/97, BFHE 184, 532, BStBl II 1998, 351, 353; in BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7, 8; in BFH/NV 2003, 550). Es handelt sich hierbei (auch) um eine Regelung zur Missbrauchsabwehr (BFH-Urteile in BFHE 200, 336, BStBl II 2003, 139; in BFH/NV 2003, 550).

Aus diesem Grund werden ein Raum bzw. eine Wohnung, die der Steuerpflichtige als Arbeitszimmer nutzt, jedenfalls dann von der Typisierung (noch) erfasst, wenn sie an die Privatwohnung unmittelbar angrenzen; denn die Möglichkeit, Kosten der privaten Lebensführung in den beruflichen oder betrieblichen Bereich zu verlagern, ist in diesem Fall nur unwesentlich geringer als bei einem Arbeitszimmer, das sich in der Wohnung des Steuerpflichtigen befindet (so auch Söhn in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 4 Rdnr. Lb 68; Meurer in Lademann, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 4 Anm. 713; Blümich/Thürmer, Einkommensteuergesetz, § 9 Rz. 567 j; Urban, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1996, 229, 230; teilweise a.A.: Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 4 Rz. 392; Schmidt/ Drenseck, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., § 19 Rz. 60, Stichwort Arbeitszimmer; Hartz/Meeßen/Wolf, Lohnsteuer, Stichwort Arbeitszimmer, Tz. 56).

d) Unter Würdigung der Gesamtumstände des Streitfalles hat das FG zutreffend die "Häuslichkeit" der als Arbeitszimmer genutzten kleinen Dachgeschoss-Wohnung bejaht. Es hat dabei dem Umstand, dass beide Wohnungen nicht unmittelbar miteinander verbunden sind, keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Das FG hat vielmehr maßgeblich darauf abgestellt, dass sich weder auf der Etage der Kläger noch darüber weitere Wohneinheiten befinden und eine Beeinträchtigung durch Fremde insoweit ausgeschlossen werden könne. Als entscheidungserheblich erachtete das FG ferner, dass sowohl die Kläger als auch deren Vermieter beide Wohnungen als einheitliche Zusammenfassung von Räumen angesehen hätten. Beide Wohnungen seien auf der Grundlage eines einheitlichen Mietvertrages angemietet worden; für beide hätten die Kläger ein einheitliches Entgelt gezahlt. Diese Feststellungen sind revisionsrechtlich ebenso wenig zu beanstanden wie die daran anschließende rechtliche Würdigung, dass die kleinere Wohnung der häuslichen Sphäre des Klägers zuzurechnen ist.

3. Das Arbeitszimmer des Klägers bildet nicht den Mittelpunkt seiner beruflichen Betätigung i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG.

a) Auch der Begriff des Betätigungsmittelpunkts ist im Gesetz nicht näher bestimmt. Der Senat hat insoweit bereits entschieden, dass das häusliche Arbeitszimmer eines Steuerpflichtigen, der seinen Beruf teilweise im Arbeitszimmer und teilweise außer Haus ausübt, dann Mittelpunkt im Sinne der Abzugsbeschränkung ist, wenn er dort die für seinen Beruf wesentlichen und prägenden Tätigkeiten verrichtet. Maßgeblich ist insoweit der inhaltliche, qualitative Schwerpunkt der betrieblichen und beruflichen Betätigung. Wo dieser Schwerpunkt liegt, kann nur im Wege einer umfassenden Wertung der Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen festgestellt werden. Dem zeitlichen Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers kommt im Rahmen dieser Wertung nur eine indizielle Bedeutung zu. Dabei betrifft die Frage, ob die in einem Arbeitszimmer verrichteten Tätigkeiten den Beruf insgesamt prägen oder ob ihnen lediglich eine unterstützende Funktion zukommt, die Tatsachenfeststellung bzw. -würdigung und muss in erster Linie von den FG beantwortet werden (BFH-Urteile vom 13. November 2002 VI R 28/02, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2003, 586; VI R 104/01, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst - DStRE - 2003, 520, und VI R 82/01, DStRE 2003, 517).

Der vom Kläger vertretenen Auffassung, Tätigkeitsmittelpunkt könne ein Arbeitszimmer bereits dann sein, wenn die dort verrichteten Arbeiten zur Erfüllung der außerhäuslichen Tätigkeit erforderlich sind, ist der Senat in den genannten Entscheidungen, auf die wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, nicht gefolgt.

b) Das FG hat den Mittelpunktsbegriff zutreffend ausgelegt. Es hat darauf abgestellt, wo der Kläger den "Kernbereich" seiner beruflichen Tätigkeit ausübt. Das gewonnene Ergebnis, dass die Reisetätigkeit des Klägers angesichts ihres Umfangs und ihrer Intensität für die berufliche Tätigkeit prägend gewesen ist, verletzt weder Denkgesetze noch Erfahrungssätze.

Die hierzu getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das gilt insbesondere auch für die Feststellungen zum zeitlichen Umfang der Außendiensttätigkeit. Die insoweit vorgebrachten Einwände des Klägers sind nicht schlüssig.