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  BFH-Urteil vom 28.8.2003 (IV R 21/02) BStBl. 2003 II S. 919

Die selbständige Beratungstätigkeit eines Diplom-Wirtschaftsingenieurs auf zumindest einem Hauptgebiet der Betriebswirtschaftslehre ist der des beratenden Betriebswirts i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zumindest ähnlich. Ein Autodidakt verfügt über entsprechend ausreichende Kenntnisse, wenn es eine Hochschule, Fachhochschule oder Berufsakademie gibt, mit deren Prüfungsanforderungen sich sein technisches und betriebswirtschaftliches Wissen vergleichen lässt.

EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz vom 8. Januar 2002 2 K 2286/99

Sachverhalt

Der 1954 geborene Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war in den Streitjahren (1991 bis 1994 und 1996) als selbständiger Unternehmensberater tätig. Sein beruflicher Werdegang gestaltete sich wie folgt:

bis Juli 1968 Besuch der Volksschule
   
September 1968 bis Februar 1972 Lehre als Betriebsschlosser
   
Mai 1972 bis September 1974 Tätigkeit als Betriebsschlosser
   
Oktober 1974 bis Dezember 1975 Besuch des ... mit Abschluss als
  staatlich geprüfter Techniker
  Fachrichtung Maschinenbau
   
November 1976 bis Oktober 1979 nichtselbständige Tätigkeit in
  einem metallverarbeitenden Beruf
   
Dezember 1979 Abschluss der REFA-
  Grundausbildung,
   
1980 bis 1982 Êrwerb von verschiedenen REFA-
  Fach-Zeugnissen ("Nomographie,
  Statistik und Kostenwesen",
  "Planung und Steuerung",
  "spanende Fertigung", "REFA-
  Techniker"), Teilnahme an ver-
  schiedenen Seminaren
   
ab Juni 1980 freie Mitarbeit in einer
  Unternehmensberatung
   
1984 bis 1988 Teilnahme an insgesamt vier
  Lehrgängen auf dem Gebiet der
  sog. Zeitbewirtschaftung.

In den Streitjahren erstellte der Kläger unter anderem eine umfangreiche Studie für ein Rechenzentrum zur Ablauforganisation im Bankbereich (Juli 1990 bis August 1994). Von Juli 1992 bis Oktober 1992 war er von der Finanzverwaltung damit beauftragt, eine Ablauforganisation zu erstellen. Im Jahre 1994 war er zudem für die Firma A tätig, für die er ein Programm zur kostengünstigen Arbeitsplanung entwickelte. In der Folgezeit (1995 bis 1998) beriet der Kläger die Firma B in den Bereichen Fertigungsorganisation und Kostenrechnung, Kalkulationssystematik zur Vorgabezeitermittlung sowie beim Aufzeigen von Ratiopotenzialen und Amortisationsberechnungen.

Der Kläger erklärte seinen gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelten Gewinn in den für die Streitjahre abgegebenen Einkommensteuererklärungen bei den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) behandelte dagegen die erklärten Gewinne bei den Einkommensteuerveranlagungen als Einkünfte aus Gewerbebetrieb und erließ zudem entsprechende Gewerbesteuermessbescheide. Die hiergegen gerichteten Einsprüche blieben erfolglos.

Im anschließenden Klageverfahren holte das Finanzgericht (FG) ein Sachverständigengutachten eines Hochschullehrers des Fachbereichs Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Universität ... ein. Sodann gab es der Klage statt (Urteil vom 8. Januar 2002 2 K 2286/99, Datev und juris).

Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

Das FA beantragt, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Die Feststellungen des FG tragen nicht die Entscheidung, dass die Tätigkeit des Klägers der eines beratenden Betriebswirts ähnlich war.

1. Den Beruf des beratenden Betriebswirts i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG übt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) derjenige aus, der nach einem entsprechenden Studium, verbunden mit praktischer Erfahrung, mit den hauptsächlichen Bereichen der Betriebswirtschaft - nicht dagegen nur mit einzelnen Spezialgebieten - vertraut ist und diese fachliche Breite seines Wissens auch bei seinen praktischen Tätigkeiten einsetzen kann und tatsächlich einsetzt. Zu den Hauptbereichen der Betriebswirtschaftslehre gehören Unternehmensführung, Leistungserstellung (Fertigung von Gütern/Bereitstellung von Dienstleistungen), Materialwirtschaft, Finanzierung, Vertrieb, Verwaltungs- und Rechnungswesen sowie Personalwesen (Senatsurteil vom 4. Mai 2000 IV R 51/99, BFHE 192, 439, BStBl II 2000, 616). Diesem Berufsbild eines beratenden Betriebswirts entsprechend liegt ein "ähnlicher Beruf" nur dann vor, wenn er auf einer durch Selbststudium erworbenen vergleichbar breiten fachlichen Vorbildung beruht und sich die Beratungstätigkeit auf einen vergleichbar breiten betrieblichen Bereich erstreckt (ständige Rechtsprechung, s. schon BFH-Urteile vom 13. April 1988 I R 300/83, BFHE 153, 222, BStBl II 1988, 666; vom 2. September 1988 III R 58/85, BFHE 154, 332, BStBl II 1989, 24; vom 14. März 1991 IV R 135/90, BFHE 164, 408, BStBl II 1991, 769; auch Senatsurteil vom 19. September 2002 IV R 74/00, BFHE 200, 326, BStBl II 2003, 27).

Die an die fachliche Breite der Beratungstätigkeit gestellten Anforderungen sind auch dann noch erfüllt, wenn die Beratung wenigstens einen Hauptbereich der Betriebswirtschaftslehre umfasst (BFH-Urteile vom 16. Januar 1974 I R 106/72, BFHE 111, 316, BStBl II 1974, 293; vom 25. April 1978 VIII R 149/74, BFHE 125, 369, BStBl II 1978, 565; in BFHE 200, 326, BStBl II 2003, 27).

Das FG hat nicht ausdrücklich festgestellt, auf welche der vorgenannten Hauptbereiche der Betriebswirtschaft sich die Beratung des Klägers erstreckte. Der Senat entnimmt jedoch den vom FG in Bezug genommenen Ausführungen des Sachverständigen, dass der Kläger Beratungsleistungen auf dem gesamten Gebiet der Leistungserstellung erbracht hat.

2. Die Feststellungen des FG reichen indessen nicht aus, um entscheiden zu können, ob neben der erforderlichen Breite der Beratungsleistungen die Kenntnisse des Klägers eine ausreichende Breite und Tiefe aufweisen.

Das FG hat gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen festgestellt, dass der Kläger in einzelnen Kernbereichen der Betriebswirtschaftslehre Kenntnisse besitzt, die denen "eines Kandidaten bzw. Prüflings" der Betriebswirtschaftslehre entsprechen. Dagegen hat es Kenntnisse auf dem Gebiet des Rechnungswesens ausdrücklich verneint. Auch Kenntnisse auf dem Gebiet der Unternehmensführung, der Finanzierung und des Vertriebs hat das FG nicht festgestellt. Sie dürften angesichts des vom FG ermittelten Ausbildungsgangs des Klägers nicht vorhanden sein. Das FG hat diese Defizite mit der Begründung für unbeachtlich gehalten, dass der Kläger ähnlich einem Diplom-Wirtschaftsingenieur über eine "Simultanausbildung" verfüge. Dieser Gesichtspunkt reicht jedoch nicht aus, um die Ähnlichkeit der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit mit dem Beruf des beratenden Betriebswirts zu begründen.

Allerdings stimmt der Senat dem FG darin zu, dass ein Diplom-Wirtschaftsingenieur, sofern er Beratungsleistungen in wenigstens einem der genannten Hauptbereiche der Betriebswirtschaftslehre erbringt, als beratender Betriebswirt i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG angesehen werden kann oder zumindest einen ähnlichen Beruf ausübt. Wirtschaftsingenieurwesen kann an Universitäten, an Fachhochschulen und Berufsakademien studiert werden (vgl. Bundesanstalt für Arbeit, www.berufenet.arbeitsamt.de). Ein Diplom-Wirtschaftsingenieur, der eine derartige Ausbildungseinrichtung absolviert hat, kann auch dann beratender Betriebswirt sein, wenn nicht alle Hauptbereiche der Betriebswirtschaftslehre Gegenstand der Abschlussprüfung waren. Der Senat hält diese Ausnahme von den an die Kenntnisse eines beratenden Betriebswirts gestellten Anforderungen für gerechtfertigt, weil einerseits bei den Unternehmen ein Bedarf für Beratung durch Fachleute mit betriebswirtschaftlicher und zugleich technischer Ausbildung besteht und weil andererseits auch der Beruf des Ingenieurs im Katalog des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG enthalten ist. Zwar hat der BFH es stets abgelehnt, einen "ähnlichen Beruf" bereits dann anzunehmen, wenn der Beruf nicht einem bestimmten Katalogberuf vergleichbar ist, sondern nur Ähnlichkeit mit der gesamten Gruppe der Katalogberufe aufweist (ständige Rechtsprechung, zuletzt Senatsurteil in BFHE 200, 326, BStBl II 2003, 27, unter 1.b). Der Beruf des beratenden Wirtschaftsingenieurs weist jedoch die Besonderheit auf, dass er zwei bestimmte Katalogberufe, den des beratenden Betriebswirts und den des Ingenieurs, miteinander verbindet.

Der Senat kann dem FG jedoch insoweit nicht folgen, als es ungeprüft davon ausgeht, dass bereits die technischen Kenntnisse eines staatlich geprüften Technikers ausreichen, um die mangelnde Breite der betriebswirtschaftlichen Ausbildung zu kompensieren.

Wer als Autodidakt geltend macht, einen ähnlichen Kenntnisstand wie ein Absolvent einer Hochschule, Fachhochschule oder Berufsakademie zu besitzen, muss sich an den Kenntnissen dieses Personenkreises messen lassen.

3. Nach den Ausführungen des vom FG beauftragten Sachverständigen ist der Schwerpunkt der Ausbildung bei den verschiedenen Universitäten, Fachhochschulen oder Berufsakademien unterschiedlich. Er kann entweder mehr auf der Betriebswirtschaftslehre oder mehr auf der technisch/mathematischen Seite liegen. An einer Universität, die den Schwerpunkt mehr auf die technische Seite legt, werden nach Darstellung des Sachverständigen nicht sämtliche Kernfächer der Betriebswirtschaftslehre, sondern nur einzelne Kernfächer geprüft. Andererseits entsprechen - so der Sachverständige - die Anforderungen an das technische Wissen an einer Hochschule, die den Schwerpunkt auf Betriebswirtschaftslehre legt, zum Teil nur einem größeren Praktikum.

Die unterschiedlichen Ausbildungsschwerpunkte führen aber nicht dazu, dass der Autodidakt auf betriebswirtschaftlichem wie auf technischem Gebiet Kenntnisse nur in dem Umfang nachweisen muss, wie sie Ausbildungseinrichtungen verlangen, deren Schwerpunkt auf dem jeweils anderen Gebiet liegt.

Fehlen einem als Unternehmensberater tätigen Autodidakten Kenntnisse auf einem oder mehreren Hauptgebieten der Betriebswirtschaftslehre, so müssen seine technischen Kenntnisse den Anforderungen entsprechen, die solche Ausbildungsstätten verlangen, bei denen nicht alle Hauptgebiete der Betriebswirtschaftslehre in die Prüfung einbezogen werden. Das werden nach den vorstehenden Ausführungen diejenigen Universitäten, Fachhochschulen oder Berufsakademien sein, bei denen der Schwerpunkt auf mathematisch/technischem Gebiet liegt. Ebenso wie ein Diplom-Wirtschaftsingenieuer muss der Autodidakt geringere Kenntnisse auf dem Gebiet der Betriebswirtschaftslehre durch umfangreichere technische Kenntnisse ausgleichen. Es würde nicht ausreichen, wenn der Autodidakt in einem solchen Fall technische Kenntnisse lediglich in einem Umfang nachweisen kann, wie sie an Ausbildungsstätten verlangt werden, die wegen ihres betriebswirtschaftlich orientierten Ausbildungsschwerpunkts geringere Anforderungen an die technischen Kenntnisse der Absolventen stellen.

4. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat kann nicht entscheiden, ob es eine Universität, Fachhochschule oder Berufsakademie gibt, die sowohl auf betriebswirtschaftlichem wie auch auf mathematisch/technischem Gebiet Kenntnisse lediglich in dem Umfang verlangt, wie sie der Kläger aufweist.

Solche Feststellungen sind nicht deshalb entbehrlich, weil das FG ausgeführt hat, die technischen Kenntnisse des Klägers überstiegen die Anforderungen z.B. der Universität ..., die ihren Schwerpunkt auf den mathematischen Bereich lege, bei weitem. Der Senat kann nicht nachvollziehen, was mit dieser Äußerung gemeint ist. In den Ausführungen des Sachverständigen ist der bei manchen Ausbildungsstätten anzutreffende Ausbildungsschwerpunkt auf dem mathematischen Sektor stets mit dem auf dem Gebiet der Technik verbunden. Einrichtungen mit einem solchen Ausbildungsschwerpunkt werden sich demnach kaum mit den technischen Kenntnissen, über die der Kläger verfügt, zufrieden geben. Sollte es Ausbildungseinrichtungen geben, deren Anforderungen der Kläger sowohl auf betriebswirtschaftlichem als auch auf technischem Gebiet genügen würde, die aber zusätzlich besondere mathematische Kenntnisse verlangen, so müsste auch der Kläger, um sich mit den Absolventen dieser Ausbildungsgänge messen zu können, über vergleichbare mathematische Kenntnisse verfügen. Die entsprechenden Feststellungen wird das FG im zweiten Rechtszug nachzuholen haben.