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  BFH-Urteil vom 27.9.1996 (VI R 47/96) BStBl. 1997 II S. 68

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nur dann als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abgezogen werden dürfen, wenn die berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 v. H. der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit beträgt oder wenn für die berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht.

EStG 1996 § 4 Abs. 5 Nr. 6b Sätze 1 und 2, § 9 Abs. 5.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz (EFG 1996, 695)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielt als angestellter Rechtsanwalt und Steuerberater Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Außerdem hat er Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Rechtsanwalt. Auf der Lohnsteuerkarte für 1996 beantragte er die Eintragung eines Freibetrages u. a. wegen der als Werbungskosten zu berücksichtigenden Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte den Antrag insoweit ab. Er verwies darauf, daß seit dem 1. Januar 1996 die Abziehbarkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer gemäß § 9 Abs. 5 i. V. m. § 4 Abs. 5 Nr. 6 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1996 (JStG 1996) vom 11. Oktober 1995 (BGBl I, 1250, BStBl I, 438) eingeschränkt worden sei. Mit seinem erfolglosen Einspruch machte der Kläger geltend, die einschränkenden Regelungen der § 9 Abs. 5 i. V. m. § 4 Abs. 5 Nr. 6 b EStG seien mit dem Grundgesetz (GG) nicht vereinbar.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es führte aus, daß die berufliche Nutzung des Arbeitszimmers nicht mehr als 50 v. H. der gesamten beruflichen Tätigkeit betrage, da der Kläger nach seinen eigenen Angaben in seinem häuslichen Arbeitszimmer wöchentlich nur etwa 10 bis 15 Stunden und im Büro seines Arbeitgebers ca. 45 Stunden wöchentlich tätig sei. Da dem Kläger im Büro seines Arbeitgebers ein Arbeitsplatz zur Verfügung stehe, seien die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer gemäß § 9 Abs. 5 i. V. m. § 4 Abs. 5 Nr. 6 b EStG steuerlich nicht zu berücksichtigen. Die Regelungen des JStG 1996 betreffend das häusliche Arbeitszimmer verletzten nicht die Grundsätze der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit und Gleichmäßigkeit (Art. 3 GG). Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 695 veröffentlicht.

Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des Art. 3 GG und des § 9 und § 12 EStG. Er ist der Meinung, die einschränkenden Regelungen des § 9 Abs. 5 i. V. m. § 4 Abs. 5 Nr. 6 b EStG 1996 verstießen gegen die sich aus Art. 3 GG ergebenden Grundsätze der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und seien deshalb mit dem GG nicht vereinbar.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und wegen der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer einen weiteren Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte 1996 einzutragen, hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen Vorschriften einzuholen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das FG hat ohne Rechtsverstoß entschieden, daß auf der Lohnsteuerkarte des Klägers für das Jahr 1996 kein Freibetrag gemäß § 39a Abs. 1 Nr. 1 EStG einzutragen ist, soweit der Kläger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 EStG) geltend macht.

1. Nach § 9 Abs. 5 i. V. m. § 4 Abs. 5 Nr. 6 b Satz 1 EStG i. d. F. des JStG 1996 kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht als Werbungskosten abziehen. Dies gilt nach § 4 Abs. 5 Nr. 6 b Satz 2 EStG nur dann, wenn entweder die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 v. H. der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit beträgt oder wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Nach den auch von der Revision nicht beanstandeten Feststellungen des FG ist im Streitfall keiner der beiden in Satz 2 geregelten Ausnahmesachverhalte erfüllt. Dem Kläger steht im Büro seines Arbeitgebers ein Arbeitsplatz zur Verfügung und die berufliche Nutzung seines häuslichen Arbeitszimmers beträgt weniger als 50 v. H. seiner Gesamttätigkeit als Arbeitnehmer und selbständiger Rechtsanwalt.

2. Die für die Entscheidung des Streitfalles allein einschlägigen und mithin allein zur Prüfung gestellten Regelungen in § 9 Abs. 5 i. V. m. § 4 Abs. 5 Nr. 6 b Sätze 1 und 2 EStG über die Abziehbarkeit von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind entgegen der Auffassung des Klägers verfassungsgemäß. Der Senat teilt die Auffassung der Vorinstanz, daß der aus Art. 3 GG abgeleitete Grundsatz, daß die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten ist (vgl. Beschlüsse des Ersten Senats des BVerfG vom 23. Januar 1990 1 BvL 4, 5, 6, 7/87, BVerfGE 81, 228, 237, BStBl II 1990, 483, 486, unter B I; vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, 86, BStBl II 1990, 653, 658, unter C III 3 a) und das objektive Nettoprinzip durch diese Vorschriften nicht verletzt werden.

a) Das objektive Nettoprinzip wird im Einkommensteuerrecht in § 2 Abs. 2 EStG dadurch verwirklicht, daß bei den Überschußeinkünften ebenso wie bei Gewinneinkünften nur der Saldo zwischen Einnahmen und Ausgaben der Einkommensteuer unterliegt. Das BVerfG hat in dem Beschluß in BVerfGE 81, 228, 237 ausdrücklich dahingestellt sein lassen, ob das objektive Nettoprinzip verfassungsrechtlich vorgeschrieben ist. Denn selbst wenn es das wäre, könne der Gesetzgeber es beim Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen. Er müsse dabei aber darauf achten, daß sich die Fälle, in denen er eine betrieblich veranlaßte Aufwendung nicht als absetzbare Betriebsausgabe anerkenne, so weitgehend von allen übrigen Fällen unterschieden, daß diese Verschiedenbehandlung im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz sachlich ausreichend gerechtfertigt sei. Dabei stehe ihm allerdings eine weite Beurteilungs- und Gestaltungsfreiheit zu. Außerdem dürfe er sich - wie stets bei der Ordnung von Massenerscheinungen bei der Ausgestaltung seiner Normen generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen.

b) Es kann offenbleiben, ob durch die zur Prüfung stehenden Vorschriften das objektive Nettoprinzip durchbrochen wird oder nicht. Denn jedenfalls bestehen gewichtige Gründe, die eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips rechtfertigen würden.

Den in § 4 Abs. 5 Nr. 6 b Sätze 1 und 2 EStG getroffenen Regelungen liegt die gesetzgeberische Überlegung zugrunde, daß Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nur dann steuerlich abziehbar sein sollen, wenn ein solches für die Erwerbstätigkeit erforderlich ist. Das Gesetz verwendet zwar den Begriff der Erforderlichkeit oder Notwendigkeit nicht. Die für den Abzug erforderlichen Voraussetzungen, daß entweder ein anderer Arbeitsplatz nicht zur Verfügung stehen darf oder daß ein bestimmtes Nutzungsmaß (50 v. H.) im Verhältnis zur gesamten beruflichen und betrieblichen Tätigkeit erreicht sein muß, sind aber ihrem Wesen nach eine abschließende gesetzliche Beschreibung der Fallgestaltungen, bei denen nach der Wertung des Gesetzgebers ein häusliches Arbeitszimmer erforderlich ist.

Die Erforderlichkeit eines Aufwands ist zwar kein Wesensmerkmal des Betriebsausgaben- oder Werbungskostenbegriffs. Es kann sich dabei aber insbesondere dann um ein sachlich geeignetes Merkmal für die Anerkennung als Betriebsausgaben oder Werbungskosten handeln, wenn Aufwendungen eine Berührung mit der Lebensführung aufweisen oder in einer Sphäre anfallen, die sich einer sicheren Nachprüfung durch Finanzverwaltung oder Finanzgerichte entzieht. Beide Voraussetzungen sind bei dem häuslichen Arbeitszimmer erfüllt. Der in der Privatwohnung liegende Raum kann tatsächlich ohne jegliche Kontrollmöglichkeit für die Finanzbehörden auch für andere als berufliche Zwecke genutzt werden. Dies rechtfertigt es, die steuerliche Anerkennung der Aufwendungen an Voraussetzungen zu knüpfen, die die Möglichkeit des Mißbrauchs und der Verlagerung von Kosten für die Lebensführung in den betrieblichen oder beruflichen Bereich erheblich einschränken. Auch die von der Finanzministerkonferenz am 22. April 1993 eingesetzte Arbeitsgruppe Steuerrechtsvereinfachung hatte in ihrem Bericht vom Dezember 1993 (unter C II Nr. 22) gefordert, daß die Erforderlichkeit eines häuslichen Arbeitszimmers für dessen steuerliche Anerkennung maßgebend sein soll.

c) Der Gesetzgeber hat sich bei der Konkretisierung, wann nach seiner Wertung auch bei dem Vorhandensein eines anderen Arbeitsplatzes das Arbeitszimmer erforderlich ist, zwangsläufig einer generalisierenden Regelung bedienen müssen. Die gesetzgeberische Entscheidung, daß bei Vorhandensein eines anderen Arbeitsplatzes mindestens 50 v. H. der Gesamttätigkeit im häuslichen Arbeitszimmer stattfinden muß, um die Erwerbstätigkeit als die wesentliche Ursache des Aufwands anzusehen, ist nicht willkürlich und hält sich innerhalb der Grenzen der dem Gesetzgeber zustehenden Beurteilungs- und Gestaltungsfreiheit. Die Arbeitsgruppe Steuerrechtsvereinfachung hatte für die gesetzliche Konkretisierung des Merkmals, daß das häusliche Arbeitszimmer erforderlich sein muß, ebenfalls die Festlegung eines bestimmten Vomhundertsatzes der Gesamttätigkeit (mindestens 25 v. H.) vorgeschlagen; sie hatte dies allerdings von der weiteren Voraussetzung abhängig gemacht, daß ein anderer Arbeitsplatz nicht zur Verfügung steht (vgl. unter C II Nr. 22 des Berichts vom Dezember 1993).

Soweit die Maßgeblichkeit eines bestimmten Vomhundertsatzes der Gesamttätigkeit bei außergewöhnlichen Sachverhalten zu Ergebnissen führen kann, die in der Literatur als zum Teil willkürlich, kaum nachvollziehbar oder wirtschaftlich absurd angesehen werden (vgl. z. B. Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, § 19 Rz. 60 "Arbeitszimmer ab VZ 1996" Anm. 2; Broudre, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1995, 1733, 1739; Strohner/Mainzer, Finanz-Rundschau - FR - 1995, 677, 685 ff.; Homburg, Betriebs-Berater - BB - 1995, 2453, 2454), führt dies nicht zur Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung stehenden Vorschriften. Der Gesetzgeber darf sich bei der Ordnung von Massenerscheinungen generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen (vgl. BVerfG in BVerfGE 81, 228, 237, BStBl II 1990, 483, 486). Entscheidend ist, daß für die ganz überwiegende Zahl aller Fälle der vom Gesetzgeber gewählte Vomhundertsatz ein Abgrenzungskriterium ist, das zu sachgerechten Resultaten führt, und daß sich im übrigen in besonders gelagerten Ausnahmefällen die Frage der verfassungskonformen Auslegung stellen wird. Es ist zu bedenken, daß eine größere Einzelfallgerechtigkeit allenfalls durch noch kompliziertere Regelungen zu erreichen gewesen wäre, die erfahrungsgemäß wiederum zu zahlreichen weiteren Abgrenzungsproblemen und damit zu weiterer Komplexität geführt hätten.

3. Der Gleichheitssatz wird entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht dadurch verletzt, daß die gesetzliche Regelung sich ihrem Wortlaut nach nur auf das häusliche Arbeitszimmer und nicht auf Arbeitszimmer außerhalb des Hauses bezieht. Zum einen handelt es sich nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz um unterschiedliche Sachverhalte. Zum anderen werden die Finanzverwaltung und die Finanzgerichte in den seltenen Fällen, in denen Arbeitnehmer Aufwendungen für ein außerhalb des Hauses gelegenes Arbeitszimmer geltend machen sollten, zu prüfen haben, ob die in § 4 Abs. 5 Nr. 6 b Satz 2 EStG zum Ausdruck gekommene gesetzliche Wertung, daß das Arbeitszimmer erforderlich sein muß, auch bei außerhalb des Hauses gelegenen Arbeitszimmern von Bedeutung ist.