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BFH-Urteil vom 3.5.1989 (V R 83/84) BStBl. 1989 II S. 815

1. Der durch die Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1980 zu führende Nachweis, daß die Einrichtung auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegenden Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet, unterliegt nicht der Nachprüfung durch die Finanzbehörden oder die FG.

2. Legt der Unternehmer die Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1980 dem FA vor, so sind - wenn auch die sonstigen Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind - sämtliche Umsätze aus Leistungen, die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck der Einrichtung dienen, von der Umsatzsteuer befreit. Eine Beschränkung der Steuerbefreiung auf einzelne Unterrichtsleistungen kommt nicht in Betracht.

UStG 1980 § 4 Nr. 21 Buchst. b.

Vorinstanz: FG Nürnberg (EFG 1984, 467)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine staatlich geprüfte Musiklehrerin, erzielt Einnahmen aus der Erteilung von Musikunterricht. Sie hat dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) ein Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 4. April 1978 mit im wesentlichen folgendem Wortlaut vorgelegt: "Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus bescheinigt hiermit, daß Ihre berufsbildende Einrichtung auf einen Musikberuf oder nach Wahl des Schülers auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet und damit die Bedingungen nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG erfüllt."

Das FA gewährte die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG 1980) nur für die Umsätze, bei denen im Zeitpunkt der Leistung aufgrund der Gesamtumstände des Einzelfalles angenommen werden konnte, daß eine Vorbereitung auf einen Beruf bzw. auf eine Prüfung tatsächlich stattgefunden habe. Von den von der Klägerin im Streitjahr 1980 unterrichteten Schülern aller Jahrgangsstufen seien nur drei Schüler zu einem Musikstudium ausgebildet worden. Auf diese entfiel von dem Gesamtumsatz von ... DM lediglich ein Betrag von 3.600 DM. Dementsprechend ließ das FA im Umsatzsteuerbescheid 1980 lediglich einen Umsatz von 3.600 DM steuerfrei und versteuerte die verbleibenden Umsätze in Höhe von ... DM unter Berücksichtigung eines Abzugsbetrages nach § 19 Abs. 3 UStG 1980 mit dem ermäßigten Steuersatz. Im Einspruchsverfahren setzte das FA die Umsatzsteuer 1980 wegen anderer Streitpunkte von ... DM auf ... DM herab.

Die Klage führte zu einer weiteren Ermäßigung der Umsatzsteuer auf ... DM. Sie hatte jedoch insoweit keinen Erfolg, als die Klägerin geltend gemacht hatte, daß die ihr erteilte Bescheinigung gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1980 zur generellen Steuerfreiheit der Umsätze führe. Die Differenzierung, die das FA vornehme, so führte die Klägerin aus, sei nicht Rechtens. Es lägen unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienende Umsätze einer allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtung vor.

Das Finanzgericht (FG) schloß sich in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 467 veröffentlichten Urteil im wesentlichen der Auffassung des FA an. Es führte aus: Die Klägerin habe zwar den nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1980 erforderlichen Nachweis erbracht; die Erteilung von Musikunterricht durch die Klägerin stelle auch eine berufsbildende Einrichtung im Sinne dieser Vorschrift dar. Es seien aber nur die Leistungen der Klägerin begünstigt, die unmittelbar der Vorbereitung auf einen Musikerberuf oder auf eine entsprechende Prüfung dienten. Dies könne nicht bereits dann bejaht werden, wenn z.B. ein Volksschüler oder ein Schüler der Gymnasialunter- und -mittelstufe neben seiner normalen schulischen Ausbildung Instrumentalunterricht erhalte. Denn in den meisten Fällen musikalischer Ausbildung erfolge diese nicht mit dem Ziel, das erlernte Instrument oder allgemein die Musikausbildung berufsmäßig oder als Grundlage einer Prüfung zu verwerten. Nicht jede vom Schul- und Bildungszweck weit entfernt liegende Vorbereitung diene dem Zweck unmittelbar. Der unmittelbare Bezug einer unterrichtenden Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine praktische Anwendung, also eine berufsmäßige oder prüfungsbedingte Vorbereitung, sei vielmehr erst dann gegeben, wenn aufgrund der Gesamtumstände des Einzelfalles angenommen werden könne, daß der Schüler bzw. seine Eltern diesen Verwendungszweck konkret ins Auge gefaßt hätten. Erst von diesem eigentlichen "Beginn der Laufbahn" an könne von einer gezielten Berufs- und Prüfungsvorbereitung gesprochen werden.

Mit der Revision beantragt die Klägerin, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuer 1980 auf null DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet; sie führt unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung zur Festsetzung der Umsatzsteuer 1980 entsprechend dem Revisionsantrag auf null DM.

1. Die Vorentscheidung war aufzuheben. Der erkennende Senat teilt nicht die Auffassung des FG, daß die Klägerin nur insoweit unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienende Leistungen ausgeführt habe, als sie einzelne Schüler gezielt auf einen Beruf bzw. auf eine Prüfung vorbereitet habe.

a) Nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1980 sind steuerfrei "die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, daß sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten".

Entgegen der Auffassung des FG verknüpft das Tatbestandsmerkmal "unmittelbar" die Leistungen nicht mit dem von der Schule oder der anderen Einrichtung angestrebten Ausbildungsziel, bezieht sich also nicht auf den Inhalt der Leistungen, etwa auf einen bestimmten Lehr- und Lernstoff. Vielmehr beschreibt das Merkmal "unmittelbar" die Art und Weise, in der die Leistungen bei der Erfüllung des Schul- und Bildungszweckes der Einrichtung eingesetzt werden müssen. Der erkennende Senat hat insoweit im Urteil vom 12. Dezember 1985 V R 15/80 (BFHE 146, 181, BStBl II 1986, 499) ausgeführt, daß solche Leistungen unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienen, die ihn nicht nur ermöglichen, sondern ihn selbst bewirken. Dementsprechend ist der Verkauf von Lehr- und Lernmaterial nicht als begünstigt angesehen worden, denn erst deren Verwendung dient dem Schulzweck unmittelbar.

b) Die vom FG vorgenommene Auslegung des Begriffs der unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen läßt sich auch nicht damit begründen, daß der begünstigte Schul- und Bildungszweck auf eine, wie das FG sich ausdrückt, berufsmäßige oder prüfungsbedingte Vorbereitung beschränkt sei, so daß nur solche Leistungen erfaßt würden, die der unmittelbaren Berufs- oder Prüfungsvorbereitung dienten. Entgegen der Auffassung des FG stehen Halbsatz 1 und Halbsatz 2 des § 4 Nr. 21 UStG 1980 selbständig - kumulativ - nebeneinander. Der Tatbestand des Halbsatzes 1 wird nicht durch den Tatbestand des Halbsatzes 2 (Buchst. a bzw. b) näher bestimmt. Die Steuerfreiheit setzt zum einen voraus, daß die betreffende Einrichtung allgemeinbildend oder berufsbildend ist und daß sie entweder die Voraussetzungen des Buchst. a erfüllt, oder daß eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde mit dem in Buchst. b vorgeschriebenen Inhalt vorliegt. Die Bescheinigung nach Buchst. b dient danach allein dem Nachweis, daß die Einrichtung nach ihrer Organisation und ihrem Lehrziel auf einen Beruf oder auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet; es wird die Eignung der Einrichtung hierzu bescheinigt. Es liegt im Wesen einer derartigen Bescheinigung, daß sie sich hierauf beschränkt und nicht die konkrete Ausbildung einzelner Schüler oder Lehrgangsteilnehmer beurteilt. Dies zeigt auch ein Vergleich mit Buchst. a; liegt eine Ersatzschule im Sinne dieser Vorschrift vor, so wird die Steuerbefreiung ohne weitere Einschränkung gewährt. Für eine unterschiedliche Beurteilung der nach Buchst. b begünstigten Einrichtungen besteht kein gesetzlicher Anhaltspunkt.

c) Die vom FA und FG vorgenommene Beschränkung der Steuerbefreiung auf solche Unterrichtsleistungen innerhalb der Einrichtung, die sich an Personen richten, bei denen nach den Umständen anzunehmen sei, daß sie sich auf einen Beruf oder eine Prüfung vor einer juristischen Person vorbereiteten, läßt sich auch nicht aus § 4 Nr. 21 Halbsatz 1 UStG 1980 entnehmen. Dort wird nicht auf die Ziele der Personen abgestellt, welche die Einrichtung besuchen, sondern darauf, ob der Einrichtung generell die Eigenschaft einer allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtung zukommt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. März 1974 V R 54/73, BFHE 112, 313, BStBl II 1974, 527).

2. Die Sache ist spruchreif.

Der abschließenden rechtlichen Beurteilung durch den erkennenden Senat steht insbesondere kein Mangel tatsächlicher Feststellungen im Hinblick auf die vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1980 erteilte Bescheinigung entgegen. Zwar fehlen Feststellungen, aufgrund derer die Schlußfolgerung des FG nachvollzogen werden könnte, daß diese Bescheinigung den tatsächlichen Verhältnissen gerecht werde, insbesondere fehlen Feststellungen dazu, ob die Vorbereitung auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß erfolgt ist. Hierauf kommt es jedoch nicht an. Das FG wäre - ebenso wie das FA - zu einer abweichenden Beurteilung nicht berechtigt gewesen; denn die Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1980 bindet im Umfang der durch diese Vorschrift geregelten Aussage die Finanzbehörden und ist der Nachprüfung durch das FG entzogen.

a) Das Tätigwerden der zuständigen Landesbehörde gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1980 ist nicht lediglich eine verwaltungsinterne Mitwirkungshandlung dieser Behörde, die der Willensbildung des zur Entscheidung über die Steuerbefreiung berufenen FA dient. Der Erteilung oder Versagung der Bescheinigung kommt vielmehr rechtserhebliche Wirkung gegenüber dem Steuerpflichtigen zu, denn sie wirkt sich auf die rechtlichen Interessen des Steuerpflichtigen im Hinblick auf seine Steuerpflicht unmittelbar aus; die Erteilung oder Versagung der Bescheinigung stellt sich danach als selbständiger Verwaltungsakt der jeweils zuständigen Landesbehörde dar, der der Nachprüfung durch die allgemeinen Verwaltungsgerichte unterliegt; hiervon geht auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Urteil vom 3. Dezember 1976 VII C 73.75 (BStBl II 1977, 334) zum gleichlautenden § 4 Nr. 21 UStG 1987 aus (zur Aufteilung der Kompetenz auf zwei Behörden s. auch BFH-Urteil vom 29. August 1986 III R 71/82, BFHE 147, 572, BStBl II 1986, 920).

b) Die Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1980 bindet Finanzbehörden und FG. Dies ergibt sich aus dem Gesetzestext des § 4 Nr. 21 UStG 1980, wonach die in Halbsatz 1 bezeichneten Leistungen unter den dort genannten Voraussetzungen steuerfrei sind, wenn - als weitere Voraussetzung der Steuerbefreiung - die in Halbsatz 2 Buchst. b vorgesehene Bescheinigung mit dem dort bezeichneten Inhalt erteilt worden ist; die Entscheidung ist insoweit der zuständigen Landesbehörde übertragen. Bei den als Gegenstand der Bescheinigung angeführten Umständen handelt es sich nicht um spezifisch steuerrechtliche Fragen, die hinsichtlich ihrer rechtlichen Beurteilung dem Aufgabenbereich der Finanzbehörden zuzuordnen wären (vgl. BFH-Urteile vom 24. März 1987 X R 38/81, BFHE 150, 173, BStBl II 1987, 645, und vom 19. Januar 1989 V R 176/83, BFHE 156, 286, BStBl II 1989, 308).

Die zuständige Landesbehörde hat nicht zu entscheiden, ob die Voraussetzungen einer allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtung i. S. des § 4 Nr. 21 Halbsatz 1 UStG 1980 gegeben sind; dies ist von den Finanzbehörden gesondert zu prüfen und unterliegt auch der vollen Nachprüfbarkeit durch die Steuergerichte (BFH in BFHE 112, 313, BStBl II 1974, 527). Die zuständige Landesbehörde prüft und entscheidet aber, ob die Einrichtung als solche auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet (vgl. BVerwG in BStBl II 1977, 334). Insoweit entspricht die Auslegung des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1980 der Auslegung des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG 1973/1980 durch das BFH-Urteil vom 20. April 1988 X R 20/82 (BFHE 153, 454, BStBl II 1988, 796). Danach haben die zuständigen Landesbehörden darüber zu befinden, ob die einzelnen Einrichtungen die geforderten kulturellen Aufgaben erfüllen, nicht aber, ob es sich bei diesen Einrichtungen um Theater, Orchester, zoologische Gärten usw. handelt. In dem dem erkennenden Senat zur Entscheidung vorliegenden Streitfall war dementsprechend lediglich die Aussage der Bescheinigung nicht bindend, daß die Klägerin eine berufsbildende Einrichtung betreibe und die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1980 erfülle.

c) Dieser Beurteilung steht es nicht entgegen, daß es bei der Erteilung der Bescheinigungen durch die zuständigen Landesbehörden zu - nach Auffassung der Finanzbehörden - Fehlbeurteilungen kommen kann. Angesichts der auch für jene Behörden geltenden Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) besteht keine Veranlassung, den Finanzbehörden Kompetenzen einzuräumen, die wegen der Sachnähe der Fachbehörde vorbehalten sind. Dies schließt nicht aus, daß das Finanzamt, wenn es im Einzelfall die Bescheinigung der Fachbehörde für unzutreffend hält, sich mit dieser in Verbindung setzt mit dem Ziel, eine Überprüfung der Bescheinigung, ggf. deren Aufhebung zu erreichen.

d) Nach den vorangehenden Ausführungen erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1980. Es ist weder zwischen den Beteiligten streitig, noch unterliegt es nach den tatsächlichen Feststellungen des FG einem Zweifel, daß die Klägerin mit der Erteilung von Musikunterricht jedenfalls eine allgemeinbildende Einrichtung im Sinne dieser Vorschrift betrieben hat; sie vermittelt ein geistiges Gut, das Gegenstand der Allgemeinbildung ist. Nach der insoweit bindenden Bescheinigung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus bereitet die von der Klägerin betriebene Einrichtung auch ordnungsgemäß auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vor. Ob alle Schüler oder nur einzelne Schüler den Musikunterricht der Klägerin im Hinblick auf eine Berufsausbildung oder eine Prüfungsvorbereitung besuchen, ist ohne Belang; ausreichend ist, daß die zuständige Landesbehörde die Eignung der Einrichtung hierzu bescheinigt hat.

3. Die Umsatzsteuer 1980 ist auf null DM festzusetzen. Nach den Feststellungen des FG entfallen die steuerbaren Umsätze der Klägerin im Streitjahr ausschließlich auf Umsätze, die nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG 1980 von der Umsatzsteuer befreit sind. Ein Vorsteuerabzug kommt nicht in Betracht (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980).