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BFH-Urteil vom 24.3.1987 (VII R 30/86) BStBl. 1987 II S. 484

Der Steuerfahndungsbehörde ist es nicht grundsätzlich verwehrt, an ein Kreditinstitut ein Sammelersuchen um Auskunft über seine Provisionszahlungen an alle in einer bestimmten Zeit für das Kreditinstitut tätig gewordenen Kreditvermittler zu richten.

AO 1977 §§ 93, 208.

Vorinstanz: FG Bremen

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), ein Kreditinstitut, tätigt u. a. Kreditgeschäfte, die durch gewerbliche Kreditvermittler zustande kommen. Die Kreditvermittler erhalten für ihre Tätigkeit Vermittlungsprovision. Die Finanzbehörde (Steuerfahndung) forderte mit Verfügung vom 8. September 1981 - während des Revisionsverfahrens ersetzt durch die wortgleiche Verfügung des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) vom 9. Januar 1987 - unter Berufung auf § 208 Abs. 1 Nr. 3, § 93 der Abgabenordnung (AO 1977) die Klägerin auf, anzugeben "Namen und Anschrift aller Provisionsempfänger mit Wohnsitz in Z" sowie "Höhe der Zahlungen/Gutschriften im Kalenderjahr 1979 (Vermittlungsprovision, Gebühren, Packing, Courtage usw.)". In der Verfügung heißt es weiter, die Provisionen seien nach Provisionsarten getrennt anzugeben und es könnten Vermittler entfallen, die jährlich unter 1.000 DM erhalten hätten. Zur Begründung wies die Behörde darauf hin, es sei "bekanntgeworden, daß Steuerpflichtige für Vermittlungsleistungen von Kreditinstituten Provisionen erhalten und diese dem Finanzamt gegenüber nicht erklärt haben". Die Klägerin lehnte die Erteilung der Auskunft mit dem Hinweis ab, in dieser allgemeinen Form sei das Auskunftsersuchen nicht zulässig.

Das Finanzgericht (FG) hob das Auskunftsersuchen auf und ließ die Revision zu.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Das FA hat das Auskunftsersuchen damit begründet, es sei bekanntgeworden, daß Steuerpflichtige für Vermittlungsleistungen von Kreditinstituten Provisionen erhielten und diese dem FA gegenüber nicht erklärt hätten. Das FG hat nicht ermittelt, ob diese Behauptung des FA zutrifft. Hätte es festgestellt, daß nach den Erfahrungen der Finanzbehörden eine verhältnismäßig große Anzahl von Kreditvermittlern Steuern in bezug auf ihre Provisionseinkünfte verkürzen, so hätte es grundsätzlich zum Ergebnis kommen müssen, daß für die Finanzbehörde ein hinreichender Anlaß bestand, nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 tätig zu werden und nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 entsprechende Auskünfte von der Klägerin auch in der gewählten Form eines Sammelauskunftsersuchens zu verlangen.

a) Die Steuerfahndungsbehörde darf nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 zur "Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle" tätig werden. Sie bedarf dazu eines hinreichenden Anlasses. Dieser liegt vor, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte oder aufgrund allgemeiner Erfahrung eine Anordnung bestimmter Art angezeigt ist. Im Rahmen dieser sachlichen Zuständigkeit darf sich die Steuerfahndungsbehörde nach § 208 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 u. a. der Befugnis des § 93 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 bedienen, andere Personen als die Beteiligten um Auskünfte zu ersuchen, die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlich sind. Für die Einholung einer solchen Auskunft durch die Steuerfahndungsbehörde bestehen keine höheren Anforderungen als für das Tätigwerden nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977. Es genügt, daß die Möglichkeit einer objektiven Steuerverkürzung besteht (vgl. im einzelnen Urteil des Senats in BFHE 148, 108). Die Anwendung der Grundsätze dieser Entscheidung ergibt, daß das FG zu Unrecht ohne weitere Ermittlungen die Rechtmäßigkeit des vorliegenden Auskunftsersuchens mit der Begründung verneint hat, die Fahndungsbehörde dürfe außenstehende Dritte nicht zur Beschaffung von Besteuerungsgrundlagen für eine Vielzahl unbekannter Steuerpflichtiger heranziehen.

b) Der Fall gleicht dem vom erkennenden Senat im Urteil in BFHE 148, 108 entschiedenen insoweit, als sich auch hier der Anlaß für das Tätigwerden der Steuerfahndung auf Erfahrungen in einem bestimmten Umfeld gründet, ohne daß diese konkret genug wären, für den einzelnen betroffenen Steuerpflichtigen einen Verdacht der Steuerverkürzung zu rechtfertigen. Der Senat hat entschieden, daß solche Umstände - vorausgesetzt, daß die Finanzbehörden solche Erfahrungen tatsächlich gemacht haben - grundsätzlich einen hinreichenden Anlaß für ein Tätigwerden der Steuerfahndung bieten. Es besteht in solchen Fällen die Möglichkeit, daß die Auskunft zur Aufdeckung von Fällen der Steuerverkürzung führt.

c) Der vorliegende Fall unterscheidet sich aber von dem entschiedenen dadurch, daß sich das Auskunftsersuchen nicht auf einen konkreten Einzelfall bezieht, sondern auf eine nach allgemeinen Kriterien umschriebene, möglicherweise zahlenmäßig umfangreiche Gruppe von Steuerpflichtigen (alle für die Klägerin tätig gewordenen Kreditvermittler, die im Jahre 1979 Provisionen von 1.000 DM oder mehr bezogen haben). Es unterliegt keinem Zweifel, daß solche Sammelauskunftsersuchen besonders sorgfältig daraufhin zu überprüfen sind, ob sie mit dem Recht im Einklang stehen.

Nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 haben auch dritte Personen der Finanzbehörde die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Dem Wortlaut dieser Vorschrift ist nicht zu entnehmen, diese Auskunftspflicht bestehe nur, wenn sich das Ersuchen auf einen Einzelfall bezieht. Die Vorschrift ist vielmehr dahin auszulegen, daß die Finanzbehörde befugt ist, einen Dritten um Auskunft zu ersuchen, wenn sie im Rahmen ihrer Prognoseentscheidung im Wege vorweggenommener Beweiswürdigung nach pflichtgemäßem Ermessen zum Ergebnis gelangt, daß die Auskunft zu steuererheblichen Tatsachen zu führen vermag (BFHE 148, 108, Nr. 3a der Gründe). Diese Voraussetzungen können auch bei einem Sammelauskunftsersuchen erfüllt sein.

Die grundsätzliche Zulässigkeit eines Sammelauskunftsersuchens ergibt sich auch aus der Wertung des Gesetzgebers, wie sie aus den §§ 85 ff. AO 1977 zu entnehmen ist. Danach können die Finanzbehörden zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe, die gleichmäßige Erhebung der Steuer in der Realität sicherzustellen (§ 85 AO 1977), sich nach ihrem Ermessen aller gesetzlich vorgesehenen Beweismittel bedienen (BFHE 148, 108, Nr. 3b der Gründe). Zu diesen Beweismitteln gehört auch das Auskunftsersuchen nach § 93 AO 1977. Nach dieser Vorschrift trifft im Interesse einer zutreffenden Besteuerung, die nicht den Steuerunehrlichen zu Lasten der Steuerehrlichen begünstigt, auch jeden Dritten eine im wesentlichen uneingeschränkte Auskunftspflicht. Der Gesetzgeber hat damit deutlich gemacht, daß er das Interesse der Allgemeinheit an einer möglichst lückenlosen Verhinderung von Steuerverkürzungen im Grundsatz höher wertet als das Interesse des unbeteiligten Dritten, unbehelligt von staatlichen Eingriffen zu bleiben (vgl. BFHE 148, 108, Nr. 2b aa der Gründe; vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 93a AO 1977 Anm. 2). Es kann deshalb davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber Sammelauskunftsersuchen der vorliegenden Art nicht von vornherein ausgeschlossen wissen wollte.

Der Senat folgt nicht der Auffassung des FG, ein solches Sammelauskunftsersuchen sei eine unzulässige Ermittlung "ins Blaue hinein". Nach dem Urteil des Senats in BFHE 148, 108, träfe das nur zu, wenn es an einem hinreichenden Anlaß für das Tätigwerden der Steuerfahndung und an der Möglichkeit einer objektiven Steuerverkürzung fehlte. Das ist aber nicht der Fall, wenn der Ausgangspunkt des FA zutreffen sollte, daß nach allgemeinen Erfahrungen verhältnismäßig viele Kreditvermittler Steuern in bezug auf ihre Provisionseinkünfte verkürzen.

d) Nicht gegen die Zulässigkeit des Auskunftsersuchens spricht, daß der Ersuchte ein Kreditinstitut ist. Dieser Umstand wäre möglicherweise dann von Bedeutung, wenn das Auskunftsersuchen das Verhältnis zwischen dem Kreditinstitut und seinen Kunden berühren würde. Das ist hier aber nicht der Fall. Das Auskunftsersuchen betrifft allein das Verhältnis der Klägerin zu den für sie tätig gewordenen Kreditvermittlern. Es ist daher nicht anders zu werten als Ersuchen des FA an einen Unternehmer, steuerlich möglicherweise erhebliche Tatsachen mitzuteilen, die seine Mitarbeiter betreffen. Die vom FG für seine andere Auffassung in Betracht gezogenen Fälle (Offenbarungspflicht der Kreditinstitute hinsichtlich Zinseinnahmen privater Sparer oder Einnahmen anderer Berufsgruppen) stehen hier also nicht zur Entscheidung.

2. Zu Unrecht verweist das FG das FA auf die Möglichkeit, die Namen der Kreditvermittler auf anderem Weg in Erfahrung zu bringen. Nach § 208 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 ist die Steuerfahndung von der Einschränkung des § 93 Abs. 1 Satz 3 AO 1977, zuerst die Beteiligten zu befragen, freigestellt. Daraus ergibt sich, daß nach dem Willen des Gesetzgebers die Steuerfahndung auch bei anderen Ermittlungsmöglichkeiten grundsätzlich nicht gehindert ist, zuerst über ein Auskunftsersuchen an einen Dritten zu versuchen, die erforderlichen Angaben zu erhalten. Allerdings kann die Steuerfahndung, wie der Senat im Urteil in BFHE 148, 108 (Nr. 4 der Gründe) ausgeführt hat, eine Auskunft nur verlangen, wenn sie zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig, die Pflichterfüllung für den Betroffenen möglich und seine Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar ist. Ein Auskunftsverlangen der Steuerfahndung wäre im Regelfall als nicht notwendig bzw. als unverhältnismäßig und unzumutbar zu werten, wenn die Steuerfahndung von einem Dritten Auskünfte fordern würde, die sie auf andere Weise einfacher und ohne größere Belastung Dritter erlangen könnte. So liegt der Fall hier aber nicht. Zwar könnte die Steuerfahndung auf dem vom FG aufgezeigten Weg (Gelbe Seiten des Telefonbuchs, Anzeigenteil der Tageszeitungen, Gewerbeanmeldungen) zu Erkenntnissen gelangen. Diese wären aber notwendig lückenhaft, weil zumindest die nur gelegentlichen Kreditvermittler auf diese Weise nicht erfaßt werden könnten. Überdies bedeutete diese Vorgehensweise auch für die Steuerfahndung eine erhebliche zusätzliche Belastung, auf die sie dann nicht verwiesen werden darf, wenn die Belastung der Klägerin durch die Erteilung der Auskunft nicht unverhältnismäßig und daher nicht unzumutbar ist (vgl. auch BFHE 148, 108, Nr. 4c der Gründe mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).

3. Nach allem war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird festzustellen haben, ob die Voraussetzungen zutreffen, von denen das FA bei seinem Auskunftsersuchen ausgegangen ist, nämlich ob nach den Erfahrungen der Finanzbehörden eine verhältnismäßig große Anzahl von Kreditvermittlern Steuern in bezug auf ihre Provisionseinkünfte verkürzen. Kommt das FG dabei zu einem positiven Ergebnis, so ist das Auskunftsersuchen rechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden.

Das FG wird bei seiner neuerlichen Entscheidung folgendes zu beachten haben:

a) Nach dem Vorbringen der Verwaltung in der Revisionsinstanz ist nicht auszuschließen, daß die Steuerbehörden ins Gewicht fallende negative Erfahrungen nur mit Kreditvermittlern gemacht haben, die dieses Gewerbe nebenberuflich betreiben (z. B. Kreditvermittlungen beim Verkauf von Gebrauchtwagen). Wenn das zutrifft, d. h. wenn die Verwaltung nicht darlegen kann, daß entsprechende (über das normale Maß hinausgehende) negative Erfahrungen auch in bezug auf die hauptberuflichen Kreditvermittler vorliegen, stellt sich die Frage, ob das FA das angefochtene Auskunftsersuchen entsprechend hätte einschränken müssen (Auskünfte im vorgesehenen Umfang nur über die genannten nebenberuflichen Kreditvermittler). Diese Frage wäre zu bejahen (d. h. das uneingeschränkte Auskunftsersuchen wäre rechtswidrig und aufzuheben), wenn der Klägerin auch die Erteilung der eingeschränkten Auskunft möglich und zumutbar und nicht mit einer unverhältnismäßigen Belastung verbunden wäre. Erfüllte jedoch das so eingeschränkte Ersuchen diese Voraussetzungen nicht, so könnte allerdings der Mangel der Einschränkung nicht als fehlerhaft angesehen werden. Denn sonst müßte das Auskunftsersuchen - gleich ob eingeschränkt oder nicht - in vollem Umfang als unrechtmäßig angesehen werden. Das aber hätte zur Folge, daß der Steuerfahndung Ermittlungen gerade im (möglicherweise) besonders sensiblen Bereich der nebenberuflichen Kreditvermittler unmöglich oder zumindest wesentlich erschwert würden. Diese Folge muß aber vermieden werden, wie die in solchen Fällen erforderliche, den Wertungen des Gesetzgebers entsprechende Interessenabwägung zeigt (vgl. auch BFHE 148, 108, Nr. 2b aa der Gründe). Bei der vorrangigen Bedeutung, die der Gesetzgeber dem Interesse der Allgemeinheit an einer möglichst lückenlosen Verhinderung von Steuerverkürzungen beimißt, ist davon auszugehen, daß im geschilderten Fall das Interesse der Angehörigen jenes Teiles der Gruppe der Kreditvermittler, die für sich allein nicht Gegenstand eines Sammelauskunftsersuchens werden könnten, von derartigen Auskunftsersuchen verschont zu bleiben, weniger schwer wiegt als das genannte Interesse der Allgemeinheit der Steuerzahler daran, unbekannte Steuerfälle im Bereich der anderen Teilgruppe aufzudecken.

b) Die Finanzbehörden können, wie ausgeführt, eine Auskunft nur verlangen, wenn sie zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig, die Pflichterfüllung für den Betroffen möglich und seine Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar ist. Die Klägerin kann sich in diesem Zusammenhang nicht darauf berufen, daß die Erteilung der Auskunft ihr Verhältnis zu den für sie tätigen Kreditvermittlern belasten würde. Anders wäre es nur dann, wenn sich dadurch die Wettbewerbslage der Klägerin gegenüber anderen Kreditinstituten verschlechtern würde. Das ist aber schon deswegen nicht der Fall, weil die anderen Kreditinstitute der gleichen Auskunftspflicht unterliegen (vgl. auch Urteil des Senats vom 20. Februar 1979 VII R 16/78, BFHE 127, 104, 114, BStBl II 1979, 268). Nach dem Vorbringen der Klägerin in der Revisionsinstanz ist es aber nicht ausgeschlossen, daß Umstände gegeben sind, die die Erteilung der geforderten Auskunft für die Klägerin als nicht zumutbar oder gar als unmöglich erscheinen lassen. Die Klägerin hat auf die Schwierigkeit der Auskunftserteilung in jenen Fällen hingewiesen, in denen die Provisionsleistungen Eingang nur in die Kundenverträge gefunden haben. Das FG wird Feststellungen auch zu dieser Frage zu treffen haben.