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BFH-Urteil vom 27.2.1987 (III R 209/81) BStBl. 1987 II S. 432

Aufwendungen für die Anschaffung eines PKW, den ein Steuerpflichtiger seinem Sohn schenkt, sind auch dann nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar, wenn der Sohn als Körperbehinderter auf die Nutzung eines Fahrzeugs angewiesen ist. Eine über den gesetzlichen Unterhaltsanspruch hinausgehende sittliche Verpflichtung zur Leistung solcher Zuwendungen besteht im allgemeinen nicht.

EStG § 33 Abs. 2 Satz 1.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 1974 und 1976 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden.

Im Jahre 1973 erlitt der 1954 geborene und im Haushalt der Eltern lebende Sohn der Kläger eine Querschnittslähmung, die zu einer 100 %igen Minderung der Erwerbsfähigkeit führte. Nach einer amtsärztlichen Bescheinigung ist der Körperbehinderte ständig hilflos, so daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann. Mit ihren Einkommensteuererklärungen 1974 und 1976 beantragten die Kläger u. a. auch den Abzug von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung, die sie für ihren Sohn getragen hatten. Darunter befanden sich die Anschaffungskosten für einen neuen BMW 2002, für den die Kläger im Jahre 1974 einschließlich einer behindertengerechten Zusatzeinrichtung 16.136 DM aufgewendet hatten, um ihn ihrem Sohn zu schenken. Diesen PKW verkaufte der Sohn im Jahre 1976, um statt dessen einen weiteren PKW, einen neuen BMW 320 A, zu erwerben. Die Kläger übernahmen die den Erlös des alten PKW übersteigenden Anschaffungskosten auch dieses Fahrzeugs und machten diesen Zuschuß ebenfalls als Krankheitskosten in ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 1976 geltend.

Die im Anschluß an eine die Jahre 1974 und 1975 umfassende Betriebsprüfung erstmalig ergangenen Einkommensteuerbescheide 1974 und 1976 wichen von den Einkommensteuererklärungen ab. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) vertrat die Auffassung, die Anschaffungskosten für den im Jahre 1974 erworbenen PKW seien angesichts des dafür erhaltenen Gegenwerts keine außergewöhnliche Belastung. Die geltend gemachten Krankheitskosten seien daher um den Betrag von 15.400 DM (Nettokaufpreis des Fahrzeugs) zu kürzen; da der Sohn eigene Einnahmen von 16.000 DM erzielt habe, seien die Krankheitskosten im übrigen um weitere 6.000 DM zu mindern, die der Sohn zumutbarerweise selbst hätte tragen müssen. Die für das Jahr 1976 geltend gemachten Aufwendungen kürzte das FA um den gewährten Zuschuß von 10.612 DM mit der Folge, daß die verbleibenden Krankheitskosten nicht berücksichtigt werden konnten, weil sie unter der nach § 33 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anrechenbaren zumutbaren Belastung blieben.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hatte die Klage zu einem großen Teil Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, daß sowohl die Anschaffung des PKW im Jahre 1974 als auch der Zuschuß zur Anschaffung des zweiten PKW dem Grunde nach außergewöhnliche Belastungen seien. Die von der Rechtsprechung entwickelte Gegenwertlehre sei im Streitfall nicht anwendbar, weil der erworbene Gegenstand in das Vermögen einer anderen Person übergegangen sei. Die Aufwendungen seien im übrigen aus sittlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Zwar bestehe keine allgemeine sittliche Pflicht der Eltern zu Schenkungen an ihre Kinder; eine solche Pflicht könne sich indessen aus den besonderen Umständen des Einzelfalles ergeben, wobei als Beurteilungsmaßstab die Ansicht der Rechtsgemeinschaft aller billig und gerecht denkenden Bürger heranzuziehen sei. Die Aufwendungen seien jedoch nur insoweit abziehbar, als sie den Umständen nach notwendig seien und einen angemessenen Betrag nicht überstiegen. Das Gebot, die Allgemeinheit nur mit solchen Aufwendungen zu belasten, die ihr nach Recht und Billigkeit zuzumuten seien, führe im Streitfall zu einer Begrenzung der von den Klägern getragenen Anschaffungskosten beider Fahrzeuge auf den Betrag, der für ein nach der Größe vergleichbares Fahrzeug mit einer einfacheren Ausstattung aufzuwenden gewesen wäre. Die Anschaffungskosten für das im Jahr 1974 erworbene Fahrzeug seien danach um 3.000 DM und der 1976 gewährte Zuschuß um 4.500 DM zu kürzen.

Dagegen richtet sich die Revision, mit der das FA die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Vorentscheidung habe nicht berücksichtigt, daß der Körperbehindertenpauschbetrag auch zur Abgeltung der Absetzungen für Abnutzung (AfA) für einen PKW gewährt werde und daß der steuerlichen Berücksichtigung der Anschaffungskosten die Gegenwertlehre entgegenstehe.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Die Auffassung des FG, die Kläger hätten sich den Aufwendungen zur Anschaffung der beiden Kraftfahrzeuge aus sittlichen Gründen nicht entziehen können, hält einer Nachprüfung nicht stand.

1. Nach § 33 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 EStG hängt der Abzug außergewöhnlicher Aufwendungen eines Steuerpflichtigen auch von deren Zwangsläufigkeit ab. Aufwendungen erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die aufgeführten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen auf die Entschließung des Steuerpflichtigen in einer Weise einwirken, daß er ihnen nicht ausweichen kann (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Juli 1986 III R 178/80, BFHE 147, 171, BStBl II 1986, 745).

2. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Kläger weder aus rechtlichen Gründen noch aufgrund einer tatsächlichen Zwangslage gehalten waren, die Zuwendungen zu erbringen. Eine Zwangsläufigkeit aus rechtlichen Gründen ist im Streitfall zu verneinen. Die Kläger waren ihrem Sohn gegenüber zwar zur Leistung angemessenen Unterhalts verpflichtet (§§ 1601, 1610 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -), soweit er bedürftig war (§ 1602 Abs. 1 BGB); der nach § 1610 Abs. 2 BGB den gesamten Lebensbedarf umfassende Unterhaltsanspruch hätte jedoch auch unter Berücksichtigung der Körperbehinderung des Sohnes in keinem Fall die Zuwendung eines Kraftfahrzeugs, sondern allenfalls eine erhöhte laufende Unterhaltsrente gerechtfertigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Abgrenzung des Sonderbedarfs vom laufenden Bedarf im Unterhaltsrecht ist die Unterhaltsrente so zu bemessen, daß sie sämtliche voraussehbaren Bedürfnisse abdeckt und hinreichenden Spielraum für eine vernünftige Planung voraussehbarer größerer Aufwendungen beläßt (Urteile vom 1. November 1981 IV b ZR 608/80, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht - FamRZ - 1982, 145, und vom 27. April 1983 IV b ZR 378/81, FamRZ 1983, 689). Daß die streitigen Zuwendungen aus tatsächlichen Gründen geboten waren, haben die Kläger selbst nicht geltend gemacht; im Streitfall liegen dafür auch keine Anhaltspunkte vor.

3. Scheiden danach rechtliche und tatsächliche Zwänge für die Zuwendung eines PKW und den Zuschuß zur Anschaffung eines weiteren Kraftfahrzeugs aus, so waren die Kläger entgegen der Vorentscheidung auch nicht aus sittlichen Gründen verpflichtet, diese Aufwendungen zu leisten.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH reicht es zur Bejahung sittlicher Gründe i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht aus, daß sich die Kläger zur Schenkung eines PKW und der Überlassung eines Zuschusses verpflichtet gefühlt und sich wie andere Eltern in vergleichbarer Situation verhalten hätten (Urteil vom 2. März 1984 VI R 158/80, BFHE 140, 556, BStBl II 1984, 484, m. w. N.); vielmehr ist es erforderlich, daß sich der Steuerpflichtige nach dem Urteil aller billig und gerecht denkenden Menschen zu den erbrachten Leistungen verpflichtet halten kann (z. B. BFH-Urteil vom 7. Dezember 1962 VI 115/62 U, BFHE 76, 367, BStBl III 1963, 135), weil "die Sittenordnung das Handeln erfordert" (Urteil vom 26. Mai 1971 VI 271/68, BFHE 102, 389, BStBl II 1971, 628, m. w. N.) und jede Möglichkeit, die geltend gemachten Aufwendungen zu vermeiden, ausgeschlossen ist (z. B. Urteil vom 18. November 1977 VI R 142/75, BFHE 124, 39, BStBl II 1978, 147).

In Übereinstimmung hiermit wird im Schrifttum weitgehend die Auffassung vertreten, daß nicht jeder Tatbestand, der zu Aufwendungen für andere aus sittlichen Gründen führt, den von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG vorausgesetzten zwingenden Charakter hat. Die sittliche Verpflichtung müsse vielmehr so unabdingbar auftreten, daß sie einer Rechtspflicht gleichkommt oder zumindest ähnlich ist. Das sittliche Gebot dürfe nicht als innerer Zwang des Gewissens von dem Betreffenden empfunden werden, sondern müsse ähnlich dem Rechtszwang von außen her als eine Forderung oder zumindest Erwartung der Gesellschaft an den Steuerpflichtigen herantreten. Dabei müsse die sittliche Verpflichtung des einzelnen von seiner Umgebung als so schwerwiegend angesehen werden, daß ihre Erfüllung als eine selbstverständliche Handlung erwartet werde und die Mißachtung dieser Erwartung den Ruf des Steuerpflichtigen derart empfindlich beeinträchtigen würde, daß er unter Umständen eine Einbuße in seiner gesellschaftlichen Stellung zu befürchten hätte (so Leingärtner, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1956, Sp. 815, 819 f., 824). Hieran anknüpfend wird darauf abgestellt, ob die Unterlassung der zu beurteilenden Handlung Nachteile im Sinne von Sanktionen im sittlich-moralischen Bereich oder auf gesellschaftlicher Ebene zur Folge haben kann, ob das Unterlassen also als moralisch anstößig empfunden wird (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 33 EStG Anm. 190; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 5. Aufl., 1986, § 33 Anm. 5 d).

Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an. Bei der danach gebotenen Entscheidung, ob das Unterlassen der Aufwendungen Sanktionen im sittlich-moralischen Bereich oder auf gesellschaftlicher Ebene zur Folge hat, ist auf die Gesamtumstände des Einzelfalles abzustellen. Dabei sind vor allem die persönlichen Beziehungen unter den Beteiligten von Bedeutung. Diesem Erfordernis trägt auch der BFH Rechnung, wenn er unter bestimmten Voraussetzungen eine sittliche Pflicht des Steuerpflichtigen zur Leistung von Unterhalt gegenüber Angehörigen i. S. des § 15 der Abgabenordnung (AO 1977) ohne gesetzlichen Unterhaltsanspruch bejaht (Urteil vom 25. März 1983 VI R 275/80, BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453, m. w. N.). Daß auch Vermögen und Lebensstellung der Beteiligten zu berücksichtigen sind, folgt für den Senat aus der gebotenen Gleichbehandlung rechtlicher und sittlicher Unterhaltspflichten. Wenn der gesetzliche Unterhaltsanspruch gegenüber Verwandten nach Grund und Höhe von der Bedürftigkeit und der Lebensstellung des Empfängers (§§ 1602 Abs. 1, 1610 Abs. 1 BGB) einerseits, andererseits von der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten (§ 1603 Abs. 1 BGB) abhängt, so kann für den Unterhaltsanspruch aufgrund sittlicher Verpflichtung grundsätzlich nichts Abweichendes gelten.

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall muß die Revision Erfolg haben. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz waren die Kläger auch unter den besonderen Umständen des Streitfalles aus sittlichen Gründen weder verpflichtet, ihrem Sohn einen PKW zu schenken noch ihm einen Zuschuß zur Anschaffung eines weiteren Fahrzeugs zu gewähren. Dabei konnte der Senat ungeachtet der schweren Körperbehinderung des Sohnes nicht unberücksichtigt lassen, daß dieser in beiden Streitjahren bereits eigene Einkünfte erzielt hatte. Aus diesen Einkünften hätte der Sohn der Kläger die Anschaffungskosten für einen PKW - jedenfalls im Wege einer Kreditfinanzierung - auch selbst erbringen können. Eine besondere Sittenpflicht zur Schenkung eines PKW kann aber auch deshalb nicht bejaht werden, weil es heute weithin üblich ist, daß Eltern in vergleichbaren Einkommens- und Vermögensverhältnissen ihren Kindern, auch wenn diese gesund sind, ein Fahrzeug schenken oder diese zumindest durch Hingabe eines Darlehens bei der Anschaffung eines Fahrzeugs unterstützen. Nach alledem haben die Kläger mit der Übernahme eines großen Teils der Krankheitskosten ihres Sohnes, deren Zwangsläufigkeit dem Grunde nach auch vom FA nicht in Frage gestellt worden ist, auch einer etwa über die gesetzliche Unterhaltspflicht hinausgehenden Sittenpflicht in einem Maße genügt, daß eine weitere Unterstützung, wenn auch verständlich und billigenswert, so doch nicht unausweichlich im Sinne des dargelegten Begriffs der Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen geboten war.