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BFH-Urteil vom 18.12.1986 (I R 49/83) BStBl. 1987 II S. 408

1. Die Festlegung des Prüfungsbeginns einer Außenprüfung ist ein Verwaltungsakt; die Prüfungsanordnung ist ein davon getrennter Vorgang.

2. Erreicht der Steuerpflichtige aufgrund einer Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO), daß die Festlegung des Prüfungsbeginns als rechtswidrig festgestellt wird, weil der Zeitraum i. S. des § 197 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nicht angemessen war, kann sich die Finanzbehörde nicht darauf berufen, daß die Prüfung an dem Tag begonnen wurde, der in der Ankündigung vorgesehen war, selbst wenn sie tatsächlich an dem Tag begonnen wurde.

3. Der Steuerpflichtige ist nicht gezwungen, die Nichteinhaltung der angemessenen Frist i. S. des § 197 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 in dem Verfahren nach § 197 Abs. 2 AO 1977 geltend zu machen.

AO 1977 § 197.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Mit Verfügung vom 2. März 1979 ordnete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) eine Außenprüfung für die Jahre 1975 bis 1977 an, die sich auf die Umsatzsteuer, Feststellung der Einkünfte, Einheitswert des Betriebsvermögens, Gewerbesteuer und Investitionszulagen erstrecken sollte. Die Prüfung begann am 2. April 1979. Am folgenden Tage erklärte der Prüfer, er beabsichtige auch die Einkommen- und Vermögensteuer zu prüfen. Am 4. April 1979 legte er dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) eine entsprechende Prüfungsanordnung vor. Nach der Prüfungsanordnung sollte die Prüfung noch am gleichen Tage beginnen.

Gegen die am 4. April 1979 vorgelegte Prüfungsanordnung erhob der Kläger erfolglos Beschwerde.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Die Prüfungsanordnung sei wegen Verstoßes gegen § 197 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) rechtswidrig, weil sie dem Kläger nicht angemessene Zeit vor der Prüfung bekanntgegeben worden sei.

Mit der Revision macht das FA die Verletzung des § 197 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 geltend; es rügt außerdem mangelnde Sachaufklärung.

Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist zulässig. Die Vorschrift des § 120 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), wonach die Revisionsbegründung oder die Revision selbst einen bestimmten Antrag enthalten muß, ist erfüllt. Das FA hat zwar lediglich beantragt, das Urteil des FG aufzuheben. Es genügt jedoch, daß aus dem Revisionsbegehren des FA eindeutig zu erkennen ist, daß es neben der Aufhebung des Urteils auch die Abweisung der Klage begehrt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. März 1979 VII R 25/76, BFHE 127, 280).

2. Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben; die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

3.1 Die Klage richtet sich gegen einen Verwaltungsakt, soweit sich der Kläger gegen die Festlegung des Prüfungsbeginns auf den 4. April 1979 wendet. Diese Festlegung ist eine Verfügung, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts getroffen hat und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 118 AO 1977). Durch die Verfügung gibt die Behörde zu erkennen, daß der Steuerpflichtige die Prüfung jedenfalls ab dem Tage zu dulden hat, auf den der voraussichtliche Prüfungsbeginn festgelegt wurde (vgl. auch Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 197 AO 1977 Anm. 40).

Dafür, daß die Festlegung des Prüfungsbeginns als Verwaltungsakt anzusehen ist, spricht das Bedürfnis nach Rechtssicherheit. Sähe man die Festlegung des Prüfungsbeginns nicht als Verwaltungsakt an, würde es zu Schwierigkeiten führen, wenn sich der Steuerpflichtige darauf beruft, daß zwischen der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung bzw. der Bekanntgabe des Prüfungsbeginns und dem tatsächlichen Prüfungsbeginn kein angemessener Zeitraum liegt. Der Steuerpflichtige könnte die Nichtangemessenheit des Zeitraums kaum wirksam geltend machen.

3.2 Er könnte zwar an der Prüfung nicht mitwirken, und sich insbesondere weigern, einen zur Durchführung der Außenprüfung geeigneten Raum zu dem angegebenen Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen bzw. den Prüfer in seine Geschäftsräume zu lassen. Der Steuerpflichtige würde sich damit der Gefahr des Erzwingungsverfahrens gemäß § 328 AO 1977 und einer Strafverfolgung aussetzen (vgl. Einführungserlaß zur AO 1977 vom 1. Oktober 1976 zu § 196 Nr. 2, BStBl I 1976, 576). Außerdem wäre nicht geklärt, ob der eingeräumte Zeitraum angemessen ist. Darauf kommt es jedoch unter Umständen an, wenn fraglich ist, ob durch die Außenprüfung die Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 4 AO 1977 eingetreten ist. Der Steuerpflichtige kann sich nicht darauf berufen, daß mit der Prüfung nicht begonnen worden sei; denn hierfür genügt bereits das Aktenstudium durch den Außenprüfer, nachdem die Prüfungsanordnung dem Steuerpflichtigen übergeben wurde (BFH-Urteil vom 7. August 1980 II R 119/77, BFHE 131, 437, BStBl II 1981, 409). Der Steuerpflichtige kann nicht darauf verwiesen werden, die aufgrund der Außenprüfung ergangenen Steuerbescheide mit der Begründung anzufechten, daß die Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 4 AO 1977 nicht eingetreten sei, weil zwischen der Bekanntgabe von Prüfungsanordnung bzw. Ankündigung des Prüfungsbeginns und dem tatsächlichen Prüfungsbeginn keine angemessene Zeit liege. Eine derartige Verlagerung des Streites um den angemessenen Zeitraum in das Veranlagungsverfahren widerspricht der Rechtsprechung des BFH zur Anfechtung von Prüfungsanordnungen. Danach dürfen durch rechtswidrige Außenprüfungen erlangte Ergebnisse nur dann nicht verwertet werden, wenn der Steuerpflichtige erfolgreich gegen die Rechtswidrigkeit der Prüfungsmaßnahmen vorgegangen ist (BFH-Urteil vom 30. Oktober 1974 I R 40/72, BFHE 114, 85, BStBl II 1975, 232; BFH-Beschlüsse vom 24. Juni 1982 IV B 3/82, BFHE 136, 192, BStBl II 1982, 659; vom 11. Juli 1979 I B 10/79, BFHE 128, 170, BStBl II 1979, 704; BFH-Urteile vom 27. Juli 1983 I R 210/79, BFHE 139, 221, BStBl II 1984, 285; vom 17. Juli 1985 I R 214/82, BFHE 144, 333, BStBl II 1986, 21, und Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 29. April 1986 1 BvR 107/86, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Abgabenordnung, § 193, Rechtsspruch 21). Dieser Rechtsprechung entspricht es, die Frage, ob die Prüfung innerhalb angemessener Zeit nach der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung bzw. der Ankündigung des Prüfungsbeginns begonnen wurde, nicht in dem Verfahren entscheiden zu lassen, das die aufgrund der Außenprüfung ergangenen Steuerbescheide betrifft.

3.3 Würde sich der Steuerpflichtige auf die Prüfung einlassen, könnte ihm entgegengehalten werden, daß er stillschweigend auf die Einhaltung der Frist zwischen der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung bzw. der Ankündigung des Prüfungsbeginns und dem Prüfungsbeginn verzichtet habe (§ 197 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Selbst wenn jedoch der Steuerpflichtige nur unter Vorbehalt auf die Außenprüfung eingeht, wäre er, wenn man in der Ankündigung des Prüfungsbeginns keinen Verwaltungsakt sähe, gezwungen, die Nichteinhaltung der angemessenen Frist in dem Verfahren betreffend die Steuerbescheide geltend zu machen, die aufgrund der Außenprüfung ergehen. Dies stünde - wie ausgeführt - im Widerspruch zu der Rechtsprechung zur Anfechtung von Prüfungsanordnungen.

3.4 Der Steuerpflichtige kann nicht auf das Verfahren nach § 197 Abs. 2 AO 1977 verwiesen werden. Danach soll auf Antrag des Steuerpflichtigen der Beginn der Außenprüfung auf einen anderen (als den angekündigten) Zeitpunkt verlegt werden, wenn dafür wichtige Gründe glaubhaft gemacht werden. Dieses Verfahren hat andere Voraussetzungen; in § 197 Abs. 2 AO 1977 wird auf besondere in der Person des Steuerpflichtigen liegende Gründe abgestellt, die glaubhaft zu machen sind. Dies entspricht auch der Ansicht der Finanzverwaltung (vgl. Einführungserlaß zur AO 1977 zu § 197 Nr. 2, in dem als Gründe i. S. des § 197 Abs. 2 AO 1977 erwähnt sind: Erkrankung des Steuerpflichtigen, seines für die Auskünfte erforderlichen Beraters oder maßgeblichen Mitarbeiters, beträchtliche Betriebsstörungen durch Umbau). Unter der "angemessenen Zeit" in § 197 Abs. 1 AO 1977 ist der Zeitraum zu verstehen, der im allgemeinen unter Berücksichtigung der Verhältnisse des zu prüfenden Steuerpflichtigen für die Vorbereitungsmaßnahmen des Steuerpflichtigen (Freimachung eines Raumes, Freihalten von Terminen etc.) erforderlich ist. Die Verweisung auf das Verfahren nach § 197 Abs. 2 AO 1977 hätte zudem zur Folge, daß die Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 4 AO 1977 allein aufgrund des gestellten Verlegungsantrags einträte. Nach dem Sinn des § 171 Abs. 4 AO 1977 soll der Ablauf der Verjährung gehemmt werden, wenn der Steuerpflichtige aus besonderen in seiner Person liegenden Gründen die Verschiebung des Prüfungsbeginns beantragt. Dem widerspräche es, die Ablaufhemmung auch eintreten zu lassen, wenn die Finanzbehörde die Ablaufhemmung mit einem nicht angemessene Zeit vorher angekündigten Prüfungsbeginn einzuleiten versucht, gegen den sich der Steuerpflichtige zu Recht wendet. Der Senat sieht auch insoweit keine Möglichkeit, den Streit in das Verfahren zu verlegen, das die aufgrund der Außenprüfung ergangenen Steuerbescheide betrifft. Dem steht die oben erwähnte Rechtsprechung entgegen. Außerdem steht es dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit entgegen, in diesem Verfahren den Antrag gemäß § 197 Abs. 2 AO 1977 als nicht gestellt anzusehen, wenn er nur zur Abwehr einer Prüfung diente, die nicht angemessene Zeit vorher angekündigt wurde und die damit einen Antrag gemäß § 197 Abs. 2 AO 1977 "provozierte".

Erreicht der Steuerpflichtige aufgrund einer Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO), daß die Festlegung des Prüfungsbeginns als rechtswidrig festgestellt wird, weil der Zeitraum i. S. des § 197 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nicht angemessen war, kann sich die Finanzbehörde nicht darauf berufen, daß die Prüfung an dem Tag begonnen wurde, der in der Ankündigung vorgesehen war, selbst wenn sie tatsächlich an dem Tag begonnen wurde.

3.5 Der Senat folgt damit der Auffassung, die davon ausgeht, daß die Festlegung des Prüfungsbeginns ein Verwaltungsakt ist (Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 197 AO 1977 Anm. 119) und die in der Festlegung des Prüfungsbeginns und der Prüfungsanordnung getrennte Vorgänge sieht (vgl. Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 197 AO 1977 Anm. 115, und Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 198 AO 1977 Rz. 8).

Er hält nicht die Ansicht für zutreffend, nach der die Nichteinhaltung der angemessenen Frist i. S. des § 197 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 in dem Verfahren nach § 197 Abs. 2 AO 1977 geltend gemacht werden müsse (so wohl Urteil des FG Baden-Württemberg vom 30. April 1985 XI K 52/84 Z, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 535, nicht rechtskräftig, und Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 197 AO 1977 Anm. 52 f. und 156 ff.). Er folgt auch nicht der Ansicht, die Festlegung des Prüfungsbeginns sei kein Verwaltungsakt (Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 16. Februar 1982 2 K 197/81, EFG 1982, 334).

3.6 Die tatsächlichen Feststellungen des FG ergeben nicht, ob die Prüfung zu dem angegebenen Zeitpunkt begonnen hat. Davon hängt die Zulässigkeit der Klage ab, soweit sie sich gegen die Festlegung des Prüfungsbeginns wendet. Wurde die Prüfung nicht zu dem vorgesehenen Zeitpunkt begonnen, fehlt der Klage das Rechtsschutzbedürfnis, weil das FA die Prüfung nicht mehr zu dem Zeitpunkt beginnen kann, zu dem sie angekündigt war. Wurde die Außenprüfung zu dem angekündigten Zeitpunkt begonnen, ist die Klage unzulässig, wenn nicht der Kläger zur Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO übergeht. Obwohl der Prüfungsbeginn eine die Zulässigkeit der Klage betreffende Tatsache ist, die in der Revisionsinstanz geprüft werden kann (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 118 Anm. 9 C a), sieht der Senat davon ab, insoweit Feststellungen zu treffen. Die Sache wird aus den unter 4. erwähnten Gründen an das FG zurückverwiesen, so daß das FG die erforderlichen Feststellungen treffen kann. Dem Kläger wird durch die Zurückverweisung ermöglicht, seine Klage auf eine Feststellungsklage umzustellen.

4. Nach den Feststellungen des FG wendet sich die Klage gegen die Prüfungsanordnung und beruft sich u. a. auf § 197 AO 1977 mit der Begründung, daß kein angemessener Zeitraum zwischen der Anordnung und dem Prüfungsbeginn eingehalten worden sei. Bei verständiger Würdigung der Klage richtet sich diese damit einmal gegen den Verwaltungsakt, durch den der Prüfungsbeginn auf den 4. April 1979 festgelegt wurde, greift jedoch auch die Prüfungsanordnung als solche an. Angesichts der auch im Schrifttum bestehenden Unsicherheit gingen der Kläger wie auch das FG offensichtlich davon aus, daß die Festlegung des Prüfungsbeginns Bestandteil der Prüfungsanordnung ist. Wenn sich die Klage gegen die Prüfungsanordnung unter anderem mit einem Argument wendet, das nur die Festlegung des Prüfungsbeginns betrifft, will sie nicht nur diesen Verwaltungsakt angreifen, sondern mit anderen im Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils nicht erwähnten Gründen gegen die Prüfungsanordnung als solche vorgehen. Soweit sich die Klage gegen die Prüfungsanordnung als solche wendet, kann der Senat aufgrund der Feststellungen des FG nicht entscheiden, ob die Prüfungsanordnung rechtswidrig ist. Das FG hatte keinen Anlaß insoweit tatsächliche Feststellungen zu treffen; es ging davon aus, daß die Festlegung des Prüfungsbeginns Bestandteil der Prüfungsanordnung ist. Es hat die Prüfungsanordnung aufgehoben, weil es die nach seiner Ansicht ausschließlich gegen die Prüfungsanordnung als solche gerichtete Klage für zulässig und begründet hielt.