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BFH-Urteil vom 28.10.1981 (I R 156/78) BStBl. 1982 II S. 88

1. Entscheidungen der Finanzbehörden über Steuervergünstigungen nach § 3 ZRFG sind Ermessensentscheidungen.

2. Die Entscheidung der Verwaltung, Sonderabschreibungen nach § 3 Abs. 2 ZRFG für Gebäude zu versagen, die vor ihrem Erwerb zum Betriebsvermögen eines Betriebs gehört haben, der überwiegend aus persönlichen Gründen (Gesundheitszustand oder Alter des Betriebsinhabers) veräußert worden ist, hält sich in dem durch § 3 ZRFG abgesteckten Rahmen der Ermessensausübung.

ZRFG § 3.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) - eine KG - betreibt den Maschinenhandel in A mit Betriebstätten in B und C, seit 1972 auch mit weiteren Betriebstätten in D und E. Die zuletzt genannten Betriebstätten waren aus der Übernahme zweier schon bestehender Betriebe entstanden. 1973 beantragte die Klägerin für die Investitionen in den Betriebstätten D und E Sonderabschreibungen nach § 3 des Zonenrandförderungsgesetzes vom 5. August 1971 - ZRFG - (BGBl I, 1237, BStBl I, 370). Die Investitionen beliefen sich auf insgesamt .... DM. In diesem Betrag waren Anschaffungskosten für erworbene Gebäude in Höhe von .... DM enthalten. Zur Begründung ihres Antrags legte die Klägerin dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) Erklärungen der früheren Inhaber der Betriebe D und E vor, aus denen hervorgeht, daß sie sich aus Gesundheits- oder Altersgründen entschlossen haben, ihre Betriebe auf die Klägerin zu übertragen.

Das FA bewilligte die Sonderabschreibungen nur teilweise. Hinsichtlich der erworbenen Gebäude versagte das FA mit Bescheid vom .... 1974 die Sonderabschreibung. Die Gebäude hätten vor dem Erwerb nicht zum Betriebsvermögen eines Betriebs gehört, dessen Stillegung gedroht habe oder der stillgelegt worden sei (vgl. Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen - BMWF - vom 18. August 1971, BStBl I 1971, 386).

Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies die Beschwerde der Klägerin als unbegründet zurück. In ihrer Klage machte die Klägerin geltend, die ablehnende Entscheidung der Verwaltung finde in § 3 ZRFG keine Stütze.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1978 S. 519 (EFG 1978, 519) teilweise veröffentlichten Urteil statt. Es führte aus, die Entscheidung über die Gewährung von Sonderabschreibungen nach § 3 ZRFG sei entgegen der herrschenden Meinung keine Ermessensentscheidung. Nach dem sich aus § 1 Abs. 1 ZRFG ergebenden Zweck des Gesetzes, die Leistungskraft des Zonenrandgebiets bevorzugt zu stärken, sei für die Berücksichtigung von Billigkeits- oder Unbilligkeitsgesichtspunkten bei der Anwendung des § 3 ZRFG kein Raum. Eine verfassungskonforme Auslegung ergebe, daß § 3 ZRFG einen Rechtsanspruch gewähre. Hätte der Gesetzgeber der Verwaltung ein Ermessen eingeräumt, hätte er gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Gesetzesvorbehalts und gegen das Legalitätsprinzip verstoßen, die auch für Begünstigungen gälten. Dem stehe die in § 3 Abs. 5 ZRFG angeordnete sinngemäße Anwendung des § 131 Abs. 2 und 3 Satz 1 und Abs. 4 der Reichsabgabenordnung (AO) nicht entgegen. Die Auffassung der Finanzverwaltung, wonach Sonderabschreibungen bei Gebäuden grundsätzlich nur in Betracht kämen, wenn es sich um Gebäude handle, die vom Steuerpflichtigen errichtet worden seien, und für erworbene Gebäude nur ausnahmsweise Sonderabschreibungen gewährt werden könnten, sei somit durch § 3 ZRFG nicht gedeckt.

Dem Klagebegehren müsse auch dann entsprochen werden, wenn § 3 Abs. 1 ZRFG als Ermessensvorschrift zu verstehen sei. Aus dem Gesetz ergäben sich keine derartigen Einschränkungen, wie sie die Finanzverwaltung für die Anschaffung von Gebäuden aufstelle.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet.

1. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, die nach § 3 ZRFG zu erlassenden Entscheidungen der Verwaltung seien keine Ermessensentscheidungen.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ZRFG "kann" die Verwaltung auf Antrag zulassen, daß bei den Steuern vom Einkommen näher bezeichnete Vergünstigungen bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 3 ZRFG in Anspruch genommen werden. Schon der Wortlaut des Eingangssatzes der Vorschrift deutet darauf hin, daß das FA eine Ermessensentscheidung zu treffen hat. In den weiteren Bestimmungen des § 3 ZRFG ist sodann angegeben, in welchem Rahmen sich eine Einzelfallentscheidung der Verwaltung zu halten hat. Nach Abs. 1 Satz 1 werden die Steuervergünstigungen im Hinblick auf die wirtschaftlichen Nachteile gewährt, die sich aus den besonderen Verhältnissen des Zonenrandgebiets ergeben; in Abs. 2 werden Höchstsätze der zu gewährenden Sonderabschreibungen festgelegt; nach Abs. 3 haben Förderungsmaßnahmen zu unterbleiben, wenn sie zur Entstehung oder zu Erhöhung eines Verlustes führen; in Abs. 4 ist vorgeschrieben, daß Unternehmen mit einer nachhaltig günstigen Ertrags- und Vermögenslage nicht begünstigt werden sollen. Schließlich ist in Abs. 5 unter Hinweis auf § 131 Abs. 2 und 3 Satz 1 AO vorgesehen, daß für bestimmte Gruppen von gleichgelagerten Fällen durch die obersten Finanzbehörden Richtlinien aufgestellt werden. Der Verwaltung ist hiernach innerhalb der abgesteckten Grenzen ein Spielraum eingeräumt, unter einer Mehrzahl zulässiger Verhaltensweisen zu wählen. Darin besteht das Wesen einer Ermessensentscheidung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Juli 1972 I R 158/71, BFHE 106, 489, BStBl II 1972, 919; Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 10. Aufl., § 5 AO 1977 Rdnr. 8).

Die Auffassung, daß die nach § 3 ZRFG zu erlassende Entscheidung der Verwaltung eine Ermessensentscheidung ist, wird auch durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift belegt. Aufgrund eines vom Deutschen Bundestag beschlossenen Förderungsprogramms für das Zonenrandgebiet hatten die Länder bei Investitionen in diesem Gebiet unter bestimmten Voraussetzungen Sonderabschreibungen und später auch steuerfreie Rücklagen zugelassen. Die Verwaltungserlasse waren auf § 131 AO gestützt. Der BFH sah in der Entscheidung vom 9. Juli 1970 IV R 34/69 (BFHE 99, 448, BStBl II 1970, 696) den § 131 AO nicht als eine ausreichende Rechtsgrundlage für die in den Verwaltungserlassen vorgesehenen Vergünstigungen an. Das Zonenrandförderungsprogramm sei eine rein politische Förderungsmaßnahme, die der Gesetzgeber nicht habe gesetzlich verankern, aber allen im Zonenrandgebiet wohnenden Investoren habe zukommen lassen wollen. Die Finanzverwaltung habe diese Ziele mit den Mitteln des § 131 AO verwirklichen wollen. Der gesetzliche Tatbestand dieser Vorschrift lasse das aber nicht zu. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, die rechtliche Grundlage für die Förderungsmaßnahmen zu schaffen; die Finanzverwaltung sei dazu nicht befugt. Mit dem im Jahre 1971 ergangenen Zonenrandförderungsgesetz haben die Entscheidungen der Finanzverwaltung, die bisher durch § 131 AO nicht hinreichend gesetzlich gedeckt waren, in § 3 des Gesetzes ihre Grundlage erhalten. Es bedarf keiner näheren Ausführungen, daß der Gesetzgeber in der ihm vom Grundgesetz (GG) gewährten Gestaltungsfreiheit befugt ist, wirtschaftspolitische Zielsetzungen dadurch zu verwirklichen, daß er im Rahmen eines Gesetzes die Finanzverwaltung ermächtigt, unter näheren tatbestandlichen Voraussetzungen und innerhalb bestimmter Höchstgrenzen Steuererleichterungen zu gewähren. Der BFH hat daher § 3 ZRFG als rechtsgültige Vorschrift angesehen, die der Verwaltung einen Ermessensspielraum einräumt (Urteil vom 24. Juli 1980 IV R 117/77, BFHE 131, 356, BStBl II 1980, 762, mit Rechtsprechungshinweisen).

2. Vor dem Inkrafttreten der Abgabenordnung - AO 1977 - (1. Januar 1977) war streitig, ob Ermessensentscheidungen nach § 3 ZRFG Verwaltungsakte darstellen, die selbständig mit der Beschwerde anfechtbar sind (so die Finanzverwaltung) oder ob eine derartige Ermessensentscheidung nur im Wege des Einspruchs gegen die Veranlagung, in der diese Entscheidung getroffen worden ist, angefochten werden kann. Durch Urteil des BFH vom 28. Februar 1980 IV R 19/78 (BFHE 130, 244, BStBl II 1980, 528) ist klargestellt, daß über den Antrag auf Gewährung von Sonderabschreibungen nach § 3 ZRFG in einem besonderen Verfahren außerhalb der Steuerfestsetzung (einheitlichen Gewinnfeststellung) zu entscheiden ist, diese Entscheidung aber mit der Steuerfestsetzung (Gewinnfeststellung) verbunden werden kann und ferner, daß außergerichtliche Rechtsbehelfe gegen diese Entscheidung seit Inkrafttreten der Abgabenordnung als Beschwerde anzusehen sind. Im Streitfall ist die Beschwerdeentscheidung zwar noch vor dem 1. Januar 1977 ergangen. Der Senat braucht aber die oben aufgeworfene Streitfrage nicht zu entscheiden. Die Auffassung der Finanzverwaltung, aufgrund des § 3 ZRFG erlassene Verwaltungsakte seien selbständig mit der Beschwerde anfechtbar, läßt sich vertreten. Für sie spricht insbesondere, daß dadurch die Ermessensentscheidung der unteren Verwaltungsbehörde voll durch die vorgesetzte Behörde nachgeprüft werden kann. Damit sind im Streitfall auch die Voraussetzungen für die Klage - das außergerichtliche Vorverfahren, das ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist - gegeben.

3. Nach § 3 Abs. 1 ZRFG können Steuerpflichtigen, die in einer gewerblichen Betriebstätte im Zonenrandgebiet Investitionen vornehmen, im Hinblick auf die wirtschaftlichen Nachteile, die sich aus den Verhältnissen dieses Gebiets ergeben, Vergünstigungen gewährt werden. Nach Abs. 2 dürfen unter bestimmten Voraussetzungen bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens Sonderabschreibungen bewilligt werden. Soweit die Behörde im Rahmen des § 3 ZRFG ermächtigt ist, im Einzelfall nach ihrem Ermessen zu entscheiden, ist im finanzgerichtlichen Verfahren nur zu prüfen, ob der Verwaltungsakt sich in den Grenzen der gesetzlichen Ermessensermächtigung hält oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 102 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Sonderabschreibungen, die aufgrund einer Förderungsmaßnahme nach § 3 Abs. 1 ZRFG gewährt werden können, dürfen bei beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens insgesamt 50 v. H., bei unbeweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens insgesamt 30 v. H. der Anschaffungs- oder Herstellungskosten nicht übersteigen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 ZRFG). Hieraus folgt nicht, daß die Sonderabschreibungen auf die bezeichneten Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens in jedem Falle gewährt werden müssen. Die Behörde hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob im Einzelfall die begehrten Sonderabschreibungen dem Grund und der Höhe nach zu bewilligen sind (BFH-Urteil vom 2. April 1980 IV R 48/78, BFHE 130, 486, BStBl II 1980, 584).

Nach der Entscheidung des Senats vom 27. Juli 1977 I R 169/74 (BFHE 123, 327, BStBl II 1978, 10) überschreiten die Finanzbehörden das ihnen in § 3 ZRFG eingeräumte Ermessen nicht dadurch, daß sie Sonderabschreibungen nur für neue, nicht auch für gebrauchte bewegliche Wirtschaftsgüter zulassen. Nach dem BFH-Urteil vom 28. April 1977 IV R 163/75 (BFHE 122, 121, BStBl II 1977, 553) und der Entscheidung in BFHE 131, 356, BStBl II 1980, 762 ist die in den Richtlinien zum Zonenrandförderungsgesetz (Schreiben des BMWF vom 18. August 1971) enthaltene Regelung, nach der bei "abnutzbaren unbeweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens" die Gewährung von Sonderabschreibungen grundsätzlich auf solche Fälle zu beschränken ist, in denen Gebäude "errichtet" werden, mit den Förderungszielen des Zonenrandförderungsgesetzes vereinbar. In der Entscheidung in BFHE 131, 356, BStBl II 1980, 762 ist ergänzend ausgeführt, die "Errichtung" von (neuen) Gebäuden oder Gebäudeteilen sei in aller Regel besser geeignet, die vom Gesetzgeber im Zonenrandgebiet gewünschte Investitionstätigkeit zu fördern als der "Erwerb" bereits vorhandener Gebäude. Dem schließt sich der erkennende Senat an.

Der BMWF hat in dem genannten Schreiben unter Abschn. I Nr. 2 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 im Falle des Erwerbs eines Gebäudes die Gewährung der Sonderabschreibung ausnahmsweise dann zugelassen, wenn das Gebäude vor dem Erwerb zum Betriebsvermögen eines Betriebs gehörte, dessen Stillegung drohte oder der stillgelegt worden ist, und das Gebäude seit der Stillegung leergestanden hat. Die Klägerin meint, den von ihr erworbenen Betrieben in D und E hätte die Stillegung gedroht. Die Verwaltung (vgl. die Beschwerdeentscheidung der OFD vom 11. April 1975) ist demgegenüber der Auffassung, unter einem Betrieb, dessen Stillegung drohte, sei ein Betrieb zu verstehen, der sich nachgewiesenermaßen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden habe; aus den beiden vorgelegten Schreiben der ehemaligen Betriebsinhaber sei ersichtlich, daß die Unternehmen überwiegend aus persönlichen Gründen (Gesundheitszustand und Alter) veräußert worden seien.

Nach Auffassung des Senats halten sich die Erwägungen der OFD im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens. Sie richten sich an den objektiven Gegebenheiten aus, daß die Stillegung eines Betriebs gewöhnlich nur dann in Betracht kommt, wenn er sich nicht mehr rentiert. Eine Stillegung kann die Vernichtung wirtschaftlicher Werte und den Verlust von Arbeitsplätzen im Zonenrandgebiet mit sich bringen. Will hingegen ein Betriebsinhaber aus persönlichen Gründen - wegen Alters oder schlechter Gesundheit - seinen lebenden Betrieb veräußern, ist der Erwerb der Wirtschaftsgüter dieses Betriebs nicht in gleichem Maße förderungswürdig. Wird ein solcher Betrieb, wie es vielfach der Fall ist, im ganzen veräußert, besteht weniger die Gefahr des Verlustes von Arbeitsplätzen. Der Senat folgt den Erwägungen des FA in der Revision, bei Einbeziehung von Betriebsveräußerungen aus persönlichen Gründen müßte nahezu jede Anschaffung eines betrieblichen Gebäudes im Rahmen einer Betriebsveräußerung durch Sonderabschreibungen begünstigt werden. Eine derartige Begünstigung stünde den Zielsetzungen des Gesetzes, das neue Investitionen, also die Anschaffung und Herstellung neuer Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, fördern will, entgegen.

 

 

 

   
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