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BFH-Urteil vom 7.10.1981 (II R 51/77) BStBl. 1982 II S. 78

"Zur Aufstockung" eines landwirtschaftlichen Betriebs ist ein Grundstück erworben, wenn der Erwerber im Zeitpunkt des Erwerbs ernstlich gewillt ist, das Grundstück in absehbarer Zeit im Rahmen seines landwirtschaftlichen Betriebs zu nutzen und nach den Umständen hierzu auch in der Lage sein wird. Diese Voraussetzung kann auch dann gegeben sein, wenn das erworbene Grundstück im Zeitpunkt des Erwerbs noch für 9 1/2 Jahre verpachtet ist.

GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1; EuAGrEStG Art. 1 Nr. 2 Buchst. a.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), Landwirtseheleute, geboren 1941, bewirtschaften einen landwirtschaftlichen Betrieb. 1975 kauften sie ein Grundstück (Ackerland) hinzu. Das Grundstück war noch bis zum 31. Dezember 1984 verpachtet. Die Kläger sind der Ansicht, es handele sich um den Erwerb eines Grundstücks "zur Aufstockung" ihres landwirtschaftlichen Betriebs, der steuerfrei gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchst. a des Bayerischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerfreiheit für die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge in die Landwirtschaft und für die Aufstockung landwirtschaftlicher Betriebe (EuAGrEStG) i. d. F., welche diese Vorschrift durch § 3 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung grunderwerbsteuerlicher Vorschriften vom 13. März 1972 (Gesetz- und Verordnungsblatt 1972 S. 71 - GVBl 1972, 71 - BStBl I 1972, 176) erhalten hat.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hielt den Vorgang nicht für steuerfrei und setzte Grunderwerbsteuer für jeden der Kläger fest; den gemeinschaftlichen Einspruch wies er zurück. Der Erwerb verpachteter Grundstücke sei grundsätzlich nicht begünstigt, da die Grundstücke während der Laufzeit des Pachtvertrages vom Erwerber nicht landwirtschaftlich, sondern nur kapitalmäßig genutzt werden könnten. Eine Ausnahme sei zulässig, wenn der Pachtvertrag höchstens noch fünf Jahre laufe und der Erwerber versichere, daß er das Grundstück nach Ablauf der Pacht selbst landwirtschaftlich nutzen werde. Dies habe das Bayer. Staatsministerium der Finanzen bestimmt durch Verwaltungsanordnung vom 27. April 1970 (Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen 1970 S. 115 Abschnitt B II Abs. 5 Unterabsatz 2). Die Ausnahme dürfe nicht ausgedehnt werden auf den Erwerb verpachteter Grundstücke, bei denen - wie im vorliegenden Fall - die Pacht noch länger als fünf Jahre dauere.

Das Finanzgericht (FG) hat die gemeinschaftliche Klage abgewiesen.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger unrichtige Anwendung des Art. 1 Nr. 2 Buchst. a EuAGrEStG. Sie beantragen, das Urteil des FG, die Einspruchsentscheidung und die beiden Steuerbescheide aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, der Einspruchsentscheidung und der beiden Steuerbescheide (§ 126 Abs. 3 Nr. 1, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das Urteil des FG muß aufgehoben werden, weil es auf unrichtiger Anwendung des Art. 1 Nr. 2 Buchst. a EuAGrEStG beruht. Nach dieser Vorschrift ist unter bestimmten Voraussetzungen von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) ausgenommen "der Erwerb eines Grundstücks zur Aufstockung eines landwirtschaftlichen Betriebs bis zu einer Größe, die dem Inhaber und seiner Familie eine sichere Existenz bietet". Unrichtig angewendet hat das FG diese Vorschrift insofern, als es angenommen hat, "zur Aufstockung" werde ein Grundstück nur dann verwendet, wenn es "alsbald nach dem Erwerbsvorgang" vom Erwerber landwirtschaftlich genutzt werde, wobei es ausreiche, "wenn die Bewirtschaftung durch den Erwerber erst einige Wochen oder auch Monate nach dem Erwerbsvorgang" einsetze. Dagegen werde ein Grundstück nicht "zur Aufstockung" erworben, wenn es "noch auf die Dauer von 9 1/2 Jahren verpachtet" sei "und daher innerhalb dieser Frist vom Erwerber nicht selbst landwirtschaftlich genutzt werden" könne. Diese Auffassung steht nicht in Einklang mit dem Gesetz.

Der Gesetzesbegriff "Erwerb eines Grundstücks zur Aufstockung eines landwirtschaftlichen Betriebs" setzt seinem Wortsinn nach voraus, daß der Erwerber im Zeitpunkt des Erwerbs ernstlich gewillt ist, das Grundstück in absehbarer Zeit im Rahmen seines landwirtschaftlichen Betriebs zu nutzen und nach den Umständen hierzu auch in der Lage sein wird. Diese Voraussetzung kann auch dann gegeben sein, wenn das erworbene Grundstück im Zeitpunkt des Erwerbs noch für 9 1/2 Jahre verpachtet ist. Denn das Gesetz verlangt nicht, daß der Erwerber innerhalb einer bestimmten Frist das Grundstück landwirtschaftlich selbst nutzt. Auch ordnet es keine steuerlichen Rechtsfolgen an für den Fall, daß der Erwerber seine ursprüngliche Absicht nicht verwirklicht oder aus Gründen nicht verwirklichen kann, auf die er keinen Einfluß hat. Insofern unterscheidet sich die Befreiungsvorschrift von ähnlichen Befreiungsvorschriften anderer Bundesländer, z. B. von § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Siedlung vom 29. März 1966 (GVBl NW, 140, BStBl II 1966, 122) und von § 1 Abs. 1, § 4 des saarländischen Gesetzes Nr. 727 über die Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Grundstücken zur Aufstockung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe vom 29. September 1960 (Amtsblatt S. 812) in der Fassung des Gesetzes vom 26. Februar 1975 (Amtsblatt S. 450, BStBl I 1975, 673). Auch ist zu berücksichtigen, daß die Pacht von landwirtschaftlich genutzten Grundstücken ihren eigenen Produktionsrhythmus hat und daß deshalb sog. Landpachtverträge (§ 1 Abs. 2 des Landpachtgesetzes vom 25. Juni 1952, BGBl I, 343, 398) meist für eine längere Dauer abgeschlossen werden, in der Regel für 9, 12 oder 18 Jahre. Nicht immer wird die Gelegenheit zum Kauf eines zur Erweiterung des landwirtschaftlichen Betriebs geeigneten, aber noch verpachteten Grundstücks zeitlich zusammenfallen mit dem Ende der Pachtzeit. In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter des FA seine Auffassung mit dem Hinweis begründet, die Aufstockung eines landwirtschaftlichen Betriebs solle "dem Inhaber und seiner Familie eine sichere Existenz" bieten. Dieses Ziel läßt sich - entgegen der Ansicht des FA - auch dann erreichen, wenn das erworbene Grundstück noch für mehr als fünf Jahre verpachtet ist.

Diese Auslegung entspricht auch dem Zweck des Gesetzes, "die zur Besitzfestigung bäuerlicher Kleinbetriebe erforderlichen Landzukäufe" durch eine "Befreiung von der Grunderwerbsteuer" zu begünstigen (Begründung des Gesetzentwurfs, Bayer. Landtag, 3. Wahlperiode, Beilage 2194 vom 4. Januar 1957, Abschn. A).

Der erkennende Senat entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

Die gemeinschaftliche Anfechtungsklage ist begründet. Die Einspruchsentscheidung und die ihr zugrunde liegenden beiden Steuerbescheide sind aufzuheben, denn sie sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Rechtswidrig sind sie deshalb, weil die bezeichnete Verwaltungsanordnung, die das FA seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat, aus den angeführten Gründen nicht in Einklang steht mit dem Gesetz. Der Erwerb des bezeichneten Grundstücks unterliegt zwar der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG), ist aber von der Besteuerung ausgenommen gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchst. a EuAGr-EStG. Denn es handelt sich um den Erwerb eines Grundstücks "zur Aufstockung eines landwirtschaftlichen Betriebs" i. S. der Befreiungsvorschrift. Im Zeitpunkt des Erwerbs hatten die Kläger den Willen, das erworbene Grundstück nach Ablauf der Pacht im Rahmen ihres landwirtschaftlichen Betriebs zu nutzen. Das schließt der erkennende Senat aus der dahingehenden Versicherung der Kläger, wie sie erstmals abgegeben worden ist in dem notariell beurkundeten Kaufvertrag und wie sie im Laufe des Verfahrens wiederholt bekräftigt und verdeutlicht worden ist durch nähere Angaben über die Art der beabsichtigten Nutzung und deren Billigung durch die zuständigen Behörden. Die Kläger haben glaubhaft dargelegt, daß sie "den Pachtvertrag als unerwünschte Nebenfolge lediglich in Kauf genommen" haben, "um nicht auf die künftige landwirtschaftliche Nutzung des Geländes verzichten zu müssen", ihr eigentliches Ziel aber die landwirtschaftliche Nutzung des Grundstücks sei (vgl. in diesem Zusammenhang das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15. Januar 1975 II R 108/67, BFHE 114, 447, BStBl II 1975, 272, betreffend den Erwerb eines Grundstücks zur Schaffung oder Erweiterung von öffentlichen Straßen und Plätzen).

Nach den im Zeitpunkt des Erwerbs erkennbaren Umständen ist anzunehmen, daß die Kläger auch in der Lage sein werden, das erworbene Grundstück nach Ablauf der Pacht landwirtschaftlich nutzen zu können. Insbesondere ist nach allgemeinen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten das erworbene Grundstück besonders geeignet, von den Klägern im Rahmen ihres landwirtschaftlichen Betriebs bewirtschaftet zu werden, denn es grenzt unmittelbar an ihren landwirtschaftlichen Betrieb an und es handelt sich um Ackerland.

Schließlich ist die weitere Voraussetzung der Befreiung erfüllt, daß der Einheitswert des aufgestockten Betriebs den Betrag von 100.000 DM nicht übersteigt.