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  BVerfG-Beschluß vom 22.6.1995 (2 BvR 552/91) BStBl. 1995 II S. 671

1. Entscheidet sich der Gesetzgeber bei der Erbschaftsteuer für eine gesonderte Bewertung der zu besteuernden Güter, so muß er die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig umsetzen und die Steuerpflichtigen - ungeachtet verfassungsrechtlich zulässiger Differenzierungen - gleichmäßig belasten.

2. Der Spielraum für den steuerlichen Zugriff auf den Erwerb von Todes wegen findet seine Grenze dort, wo die Steuerpflicht den Erwerber übermäßig belastet und die ihm zugewachsenen Vermögenswerte grundlegend beeinträchtigt.

3. Die Ausgestaltung und Bemessung der Erbschaftsteuer muß den grundlegenden Gehalt der Erbrechtsgarantie wahren, zu dem die Testierfreiheit und das Prinzip des Verwandtenerbrechts gehören; sie darf Sinn und Funktion des Erbrechts als Rechtseinrichtung und Individualgrundrecht nicht zunichte oder wertlos machen.

Gründe:

A.

Das Verfahren betrifft die Frage, ob bei der Erbschaftsteuer die unterschiedliche Belastung einerseits von Kapitalvermögen in gegenwartsnahen Verkehrswerten, andererseits von Grundbesitz mit 140 v. H. der Einheitswerte des Jahres 1964 mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.

I.

1. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer belastet gemäß §§ 1, 3, 7 und 8 des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes vom 17. April 1974 (BGBl I S. 933) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1991 (BGBl I S. 468) - für das Jahr 1987 insoweit in der Fassung vom 17. April 1974, zuletzt geändert durch den am 1. Januar 1986 in Kraft getretenen Art. 18 des Gesetzes vom 19. Dezember 1985 (BGBl I S. 2436) - Erwerbe von Todes wegen, Schenkungen unter Lebenden, Zweckzuwendungen und Familienstiftungen. Die Erbschaftsteuer ist eine Erbanfallsteuer; sie besteuert damit nicht den Nachlaß als solchen, sondern die beim jeweiligen Empfänger mit dem Erbfall eintretende Bereicherung. Als steuerpflichtiger Erwerb gilt die Bereicherung des Erwerbers, soweit sie nicht steuerfrei ist (§ 10 Abs. 1 ErbStG); Nachlaßverbindlichkeiten sind abzugsfähig (§ 10 Abs. 3 bis 5 ErbStG). Der progressive Steuertarif kennt vier nach Verwandtschaftsgraden abgestufte Steuerklassen; insoweit schränkt der Tarif - neben persönlichen Freibeträgen (§§ 16, 17 ErbStG) - das Prinzip der Bereicherungssteuer ein, um Familienvermögen zur Sicherung und Versorgung der hinterbliebenen Familienmitglieder steuerlich zu schonen.

2. Die Vermögenswerte sind gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG für 1987 - insoweit in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. Mai 1985 (BGBl I S. 845), zuletzt geändert durch den am 1. November 1987 in Kraft getretenen § 24 des Gesetzes vom 22. Oktober 1987 (BGBl I S. 2294) - grundsätzlich nach den Vorschriften des Ersten Teils des Bewertungsgesetzes, jetzt geltend in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Februar 1991 ([BGBl I S. 230], §§ 1-16 BewG), zu bewerten; danach werden festverzinsliche Wertpapiere und Aktien gemäß § 11 BewG mit dem niedrigsten am Stichtag für sie im amtlichen Handel notierten Kurs erfaßt. Inländischer Grundbesitz ist gemäß § 12 Abs. 2 ErbStG mit dem Einheitswert nach den Vorschriften des Zweiten Teils des Bewertungsgesetzes anzusetzen. Dieser ist in der Regel ein Ertragswert. So sieht etwa § 36 BewG für land- und forstwirtschaftliches Vermögen die erbschaftsteuerliche Bewertung zum Ertragswert vor und führt damit den schon mit der ersten Reichserbschaftsteuer (Gesetz vom 3. Juni 1906, RGBl 1906 S. 654) eingeführten Maßstab fort. Dieser wurde - so der Reichsfinanzminister in einer Begründung zum Reichserbschaftsteuergesetz 1919 (Bericht des 10. Ausschusses über den Entwurf eines Erbschaftsteuergesetzes, Drucksachen der Nationalversammlung 1919, Nr. 941, Band 338, S. 895 [898 f., 904]) - an Stelle des Verkehrswertes gewählt, um eine Zerschlagung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe zu verhindern.

Die einheitswertgebundenen Werte wurden letztmals zum 1. Januar 1964 festgestellt (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965 [BGBl I S. 851, BewÄndG 1965]), mit diesen Feststellungen erstmals zum 1. Januar 1974 angewandt (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung bewertungsrechtlicher und anderer steuerrechtlicher Vorschriften vom 27. Juli 1971 [BGBl I S. 1157]) und wegen der inzwischen eingetretenen Wertentwicklung mit 140 v. H. des Einheitswertes 1964 angesetzt (§ 121 a BewG i. d. F. des Gesetzes zur Reform des Vermögensteuerrechts und zur Änderung anderer Steuergesetze vom 17. April 1974 [BGBl I S. 949]).

Die in § 21 Abs. 1 Nr. 1 BewG vorgesehene Anpassung der Einheitswerte des Grundbesitzes an die reale Wertentwicklung durch Neubewertung in Zeitabständen von je sechs Jahren wurde durch Art. 2 Abs. 1 Satz 3 BewÄndG 1965 i. d. F. des Gesetzes vom 22. Juli 1970 (BGBl I S. 1118) auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Deshalb stützen sich sämtliche für Grundvermögen festgestellten Einheitswerte auch heute noch auf die Wertverhältnisse des Jahres 1964.

Wenn die Erbschaftsteuer das einheitswertgebundene Vermögen in den Vergangenheitswerten von 1964 belastet, das nicht einheitswertgebundene Vermögen hingegen in Gegenwartswerten erfaßt, so ergeben sich daraus deutliche Wertverzerrungen. Dies belegen ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen vom Februar 1989 (vgl. Die Einheitsbewertung in der Bundesrepublik Deutschland - Mängel und Alternativen -, S. 13) und Feststellungen des Bundesrechnungshofs (vgl. Schreiben an den Vorsitzenden des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages vom 25. März 1991, Az.: VIII 3 - 206101 [EW]). Daraus ergeben sich gewichtige Bewertungsunterschiede für einheitswertgebundenes und nicht einheitswertgebundenes Vermögen, aber auch erhebliche Abweichungen innerhalb der Grundstücksarten. Sie führen zu einer entsprechend verschiedenen Erbschaftsteuerlast.

II.

1. Die Beschwerdeführerin erhielt 1987 aufgrund eines testamentarischen Vermächtnisses ein Bankdepot mit festverzinslichen Wertpapieren und Aktien zugewendet. Die mit dem Vermächtnis belastete Erbin sperrte dieses Depot zunächst, gab es erst nach mehreren Monaten teilweise und nach fast einem Jahr vollständig frei.

2. Mit Erbschaftsteuerbescheid vom 19. September 1988 wurde gegen die verstorbene Beschwerdeführerin Erbschaftsteuer in Höhe von 440.625 DM festgesetzt. Das Finanzamt legte dabei den Wert des Depots zum Todestag der Erblasserin in Höhe von 938.530 DM zugrunde; im Zeitpunkt der Freigabe des Depots betrug der Wert des unveränderten Depots nur noch 499.200 DM.

3. Die gegen den Bescheid gerichtete Klage wies das Finanzgericht ab. Maßgeblicher Zeitpunkt der Bewertung des Vermächtnisses sei gemäß § 11 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Zeitpunkt des Todes der Erblasserin. Die unterschiedliche Behandlung von Grundbesitz und sonstigem Vermögen lasse sich durch die mit der pauschalisierenden Bewertung von Grundstücken verbundene Vereinfachung rechtfertigen.

4. Die vom Finanzgericht zugelassene Revision wurde vom Bundesfinanzhof gemäß Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 (BGBl I S. 1861) ohne Nennung von Gründen als unbegründet zurückgewiesen.

III.

Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin - wie schon im Ausgangsverfahren - die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Das Erbschaftsteuerrecht sei insoweit verfassungswidrig, als es ausschließlich den Todestag des Erblassers zum Stichtag bestimme. Außerdem knüpfe das Erbschaftsteuerrecht an verfassungswidrige Bewertungsvorschriften an und verstoße auch aus diesem Grunde gegen das Grundgesetz.

Die Vorschriften des Bewertungsgesetzes über die Bewertung von Grundvermögen einerseits und Wertpapiervermögen andererseits, auf die § 12 ErbStG verweise, seien verfassungswidrig. Wenn Wertpapiere nach dem Verkehrswert und Grundbesitz nach dem wesentlich geringeren Einheitswert besteuert würden, verstoße dies gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Diese Ungleichbehandlung müsse nicht durch Annäherung der Werte des Grundbesitzes an die Verkehrswerte ausgeräumt werden, sondern könne auch zu einer verminderten Besteuerung von Wertpapiervermögen oder zu einer Kombinationslösung führen. Im Ergebnis sei jedenfalls nicht ausgeschlossen, daß mit einer Korrektur der Bewertungsvorschriften auch die Vorschriften über die Wertbestimmung für Wertpapiere geändert werden würden.

IV.

Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Bundesminister der Finanzen namens der Bundesregierung, das Finanzamt und der II. Senat des Bundesfinanzhofs Stellung genommen.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

1. Der Sohn der Beschwerdeführerin kann als Erbe die Verfassungsbeschwerde fortführen, da im Ausgangsverfahren finanzielle Ansprüche geltend gemacht werden (vgl. BVerfGE 23, 288 [300]; 36, 102 [112]; 69, 188 [201]; stRspr).

2. Soweit die Verfassungsbeschwerde die Verfassungswidrigkeit der erbschaftsteuerlichen Stichtagsregelung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG rügt, steht dieser Rüge der in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende allgemeine Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen. Dieser fordert, daß ein Beschwerdeführer alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern. Der Weg der Verfassungsbeschwerde kann daher grundsätzlich nur beschritten werden, wenn keine anderweitige Möglichkeit besteht oder bestand, dieses Ziel ohne Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts zu erreichen (vgl. BVerfGE 74, 102 [113]; 81, 22 [27] m. w. N.).

Eine Entscheidung des Finanzgerichts über die beantragte Billigkeitsmaßnahme steht noch aus. Hierzu ist geltend gemacht, die Anwendung der gesetzlichen Stichtagsregelung führe im konkreten Einzelfall zu einem "gesetzlich ungewollten Überhang" und damit zu einer unbilligen und "erdrosselnd" wirkenden Härte. Sollte dies zutreffen, kommt eine Korrektur durch eine Billigkeitsmaßnahme in Betracht, ohne daß die Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG durch diese besonderen Auswirkungen in einem atypischen Fall in Frage gestellt würde (vgl. BVerfGE 48, 102 [115 f.]). Die Verfassungsbeschwerde greift insoweit folgerichtig die gesetzliche Regelung nicht generell an, sondern geht davon aus, daß die Aufrechterhaltung der Stichtagsregelung von der Möglichkeit einer Korrektur im Einzelfall abhänge. Daher ist zunächst die fachgerichtliche Entscheidung über den abgelehnten Billigkeitserlaß abzuwarten.

3. Soweit die Verfassungsbeschwerde die Verfassungswidrigkeit des § 12 ErbStG wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz rügt, ist sie zulässig. Die Rüge wendet sich nicht lediglich gegen die Anwendung einer gesetzlichen Regelung im konkreten Einzelfall, sondern greift mit § 12 ErbStG die rechtliche Grundlage der festgesetzten Erbschaftsteuerschuld an. Für den Fall, daß die in § 12 ErbStG vorgesehene Bewertung vor der Verfassung keinen Bestand hat, ordnet Art. 10 § 3 Erbschaftsteuerreformgesetz 1974 (ErbStRG) an, daß die Rechtsgrundlage für die Erbschaftsbesteuerung entfällt. Damit verdeutlicht der Gesetzgeber, daß die Einheitsbewertung des Grundbesitzes unverzichtbarer Bestandteil des geltenden Erbschaftsteuerrechts insgesamt ist, so daß mit deren Wegfall auch die Erhebung der Erbschaftsteuer auf sonstige Vermögenswerte (hier: Aktien und Wertpapiere) eine neue gesetzliche Grundlage voraussetzt. Mit einer Neuregelung wird auch die Möglichkeit eröffnet, daß auch das der Beschwerdeführerin zugewandte Vermächtnis steuerlich geringer belastet wird.

C.

§ 12 Abs. 1 und 2 ErbStG i. V. m. dem Ersten und Zweiten Teil des Bewertungsgesetzes sind insofern mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar, als sie die Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer für Grundbesitz (§ 19 BewG) auf der Grundlage von zum 1. Januar 1964 festgestellten Einheitswerten, für Kapitalvermögen hingegen zu Gegenwartswerten ansetzen.

I.

Die verfassungsrechtliche Garantie des Erbrechts (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) läßt es zu, daß der Steuergesetzgeber eine Erbschaftsteuer (vgl. Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG) vorsieht, die den durch den Erbfall beim Erben anfallenden Vermögenszuwachs und die dadurch vermittelte finanzielle Leistungsfähigkeit belastet. Entscheidet sich der Gesetzgeber dabei für eine gesonderte Bewertung der zu besteuernden Güter, so muß er die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig umsetzen und die Steuerpflichtigen - ungeachtet verfassungsrechtlich zulässiger Differenzierungen - gleichmäßig belasten (vgl. BVerfGE 23, 242 [256]; 84, 239 [271]) - nachfolgend 1. Der Spielraum für den steuerlichen Zugriff auf den Erwerb von Todes wegen findet seine Grenze dort, wo die Steuerpflicht den Erwerber übermäßig belastet und die ihm zugewachsenen Vermögenswerte grundlegend beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 63, 312 [327]). Die Steuerbelastung darf das Vererben vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Eigentümers nicht als ökonomisch sinnlos erscheinen lassen (vgl. Papier, in: Maunz-Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Stand Mai 1994, Rn. 297 zu Art. 14) - nachfolgend 2.

1. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Erbschaftsteuer in ihrer derzeitigen Ausgestaltung das Ziel, den durch den Erbfall anfallenden Vermögenszuwachs jeweils gemäß seinem Wert - wenn auch in unterschiedlichen Steuersätzen nach Maßgabe des Verwandtschaftsgrades und der Höhe des Erbes (vgl. § 19 i. V. m. § 15 ErbStG) - zu belasten (§ 10 Abs. 1 ErbStG). Die gleichmäßige Belastung der Steuerpflichtigen hängt mithin davon ab, daß für die einzelnen zur Erbschaft gehörenden wirtschaftlichen Einheiten und Wirtschaftsgüter Bemessungsgrundlagen gefunden werden, die deren Werte in ihrer Relation realitätsgerecht abbilden (vgl. BVerfGE 23, 242 [257]; 25, 216 [226]; 30, 129 [143 f.]; 41, 269 [280, 282 f.]). Das Erbschaftsteuergesetz bestimmt in § 12, daß sich die Bewertung, vorbehaltlich der dort vorgesehenen Sonderregelungen, nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes richtet. Die darin festgelegten Bewertungsmethoden genügen dieser Anforderung dann, wenn sie entweder zum Bewertungsstichtag die jeweiligen Werte in ihrer Relation realitätsgerecht ermitteln oder dementsprechend in der Vergangenheit festgestellte Werte entwicklungsbegleitend fortschreiben. Haben sich die steuererheblichen Werte für bestimmte Gruppen wirtschaftlicher Einheiten deutlich auseinanderentwickelt, darf das der Gesetzgeber nicht auf sich beruhen lassen (vgl. BVerfGE 23, 242 [257 f.]; 41, 269 [283]). Dabei muß der Gesetzgeber auch Wertverschiebungen zwischen den einzelnen Vermögensarten und innerhalb des Grundvermögens beachten (vgl. BVerfGE 23, 242 [252]; 65, 160 [170]).

2. Die Erbschaftsbesteuerung mindert für den Steuerpflichtigen den Wert seines Erbes. Die Ausgestaltung und Bemessung der Erbschaftsteuer muß den grundlegenden Gehalt der Erbrechtsgarantie wahren, zu dem die Testierfreiheit und das Prinzip des Verwandtenerbrechts gehören; sie darf Sinn und Funktion des Erbrechts als Rechtseinrichtung und Individualgrundrecht nicht zunichte oder wertlos machen.

a) aa) Die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet das Rechtsinstitut der Privaterbfolge. Das Erbrecht hat die Funktion, das Privateigentum als Grundlage der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung (vgl. BVerfGE 83, 201 [208]) mit dem Tode des Eigentümers nicht untergehen zu lassen, sondern seinen Fortbestand im Wege der Rechtsnachfolge zu sichern. Die Erbrechtsgarantie ergänzt insoweit die Eigentumsgarantie und bildet zusammen mit dieser die Grundlage für die im Grundgesetz vorgegebene private Vermögensordnung (vgl. Beschluß des Ersten Senats vom 14. Dezember 1994 - 1 BvR 720/90 -, Umdruck S. 18).

bb) Dem Recht des Erblassers zu vererben, das durch seine Testierfreiheit geschützt ist, entspricht das Recht des Erben, kraft Erbfolge zu erwerben. Auch der Erbe genießt den Schutz des Grundrechts und kann ihn - jedenfalls vom Eintritt des Erbfalls an - geltend machen (vgl. BVerfGE 19, 202 [204, 206]; 67, 329 [340]). Andernfalls würde der Grundrechtsschutz mit dem Tod des Erblassers erlöschen und damit weitgehend entwertet werden (vgl. Beschluß des Ersten Senats vom 14. Dezember 1994 - 1 BvR 720/90 -, Umdruck S. 21).

Neben den verfassungsrechtlichen Schutz der Testierfreiheit tritt der Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG). Deshalb sieht das bestehende Erbschaftsteuerrecht auch das Familienprinzip als weitere Grenze für das Maß der Steuerbelastung vor.

cc) Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG überläßt es dem Gesetzgeber, Inhalt und Schranken des Erbrechts zu bestimmen (vgl. BVerfG, a. a. O.). Diese Regelungsbefugnis eröffnet auch dem Erbschaftsteuergesetzgeber im Rahmen der Garantie des Privaterbrechts eine weitreichende Gestaltungsbefugnis. Wenngleich die Gewährleistung von Eigentum und Erbrecht in einem Zusam-menhang stehen, garantiert die Erbrechtsgarantie nicht das (unbedingte) Recht, den gegebenen Eigentumsbestand von Todes wegen ungemindert auf Dritte zu übertragen; die Möglichkeiten des Gesetzgebers zur Einschränkung des Erbrechts sind - weil sie an einen Vermögensübergang anknüpfen - weitergehend als die zur Einschränkung des Eigentums (vgl. Papier, a. a. O., Rn. 291 zu Art. 14).

b) Aus diesen Maßstäben folgt:

aa) Der erbschaftsteuerliche Zugriff bei Familienangehörigen im Sinne der Steuerklasse I (§ 15 Abs. 1 ErbStG) ist derart zu mäßigen, daß jedem dieser Steuerpflichtigen der jeweils auf ihn überkommene Nachlaß - je nach dessen Größe - zumindest zum deutlich überwiegenden Teil oder, bei kleineren Vermögen, völlig steuerfrei zugute kommt. Im geltenden Steuerrecht wird dies - bei den gegenwärtigen Steuersätzen - in typisierender Weise durch die Freibeträge des § 16 ErbStG für Ehegatten und Kinder erreicht, soweit zugleich die Grundstücke nur mit den niedrigen Einheitswerten berücksichtigt werden. Entschließt sich der Gesetzgeber, der Erbschaftsteuer realitätsnahe Gegenwartswerte des Grundbesitzes zugrunde zu legen, so ist es notwendig, den Betrag des Nachlaßwertes, der dem oder den Erben der Steuerklasse I ungeschmälert verbleiben muß, entsprechend freizustellen. Für diesen Nachlaßwert bezeichnet der im Beschluß des Zweiten Senats vom gleichen Tage - 2 BvL 37/91 - zu C.I.5. umrissene Wert des persönlichen Gebrauchsvermögens einen tauglichen Anhalt.

In bezug auf einen darüber hinausgehenden Vermögenszuwachs ist der erbschaftsteuerliche Zugriff so zu beschränken, daß die Erbschaft für den Ehegatten noch Ergebnis der ehelichen Erwerbsgemeinschaft bleibt und auch eine im Erbrecht angelegte Mitberechtigung der Kinder am Familiengut nicht verlorengeht. Im geltenden Recht nimmt der Gesetzgeber diese nach Art. 6 Abs. 1 GG gebotene Abstufung in der Steuerbelastung auf, indem er die Steuersätze, welche für die Erbfolge der dem Erblasser ferner stehenden Steuerpflichtigen gelten, für die Erbfolge der nächsten Familienangehörigen deutlich verringert.

bb) Zudem hat der Gesetzgeber bei der Gestaltung der Steuerlast zu berücksichtigen, daß die Existenz von bestimmten Betrieben - namentlich von mittelständischen Unternehmen - durch zusätzliche finanzielle Belastungen, wie sie durch die Erbschaftsteuer auftreten, gefährdet werden kann. Derartige Betriebe, die durch ihre Widmung für einen konkreten Zweck verselbständigt und als wirtschaftlich zusammengehörige Funktionseinheit organisiert sind, sind in besonderer Weise gemeinwohlgebunden und gemeinwohlverpflichtet: Sie unterliegen als Garant von Produktivität und Arbeitsplätzen insbesondere durch Verpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern, das Betriebsverfassungsrecht, das Wirtschaftsverwaltungsrecht und durch die langfristigen Investitionen einer gesteigerten rechtlichen Bindung. Sie hat zur Folge, daß die durch die Erbschaftsteuer erfaßte finanzielle Leistungsfähigkeit des Erben nicht seinem durch den Erbfall erworbenen Vermögenszuwachs voll entspricht. Die Verfügbarkeit über den Betrieb und einzelne dem Betrieb zugehörige Wirtschaftsgüter ist beschränkter als bei betrieblich ungebundenem Vermögen.

Der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) fordert, diese verminderte Leistungsfähigkeit bei den Erben zu berücksichtigen, die einen solchen Betrieb weiterführen, also den Betrieb weder veräußern noch aufgeben, ihn vielmehr in seiner Sozialgebundenheit aufrechterhalten, ohne daß Vermögen und Ertragskraft des Betriebes durch den Erbfall vermehrt würden. Die Erbschaftsteuerlast muß hier so bemessen werden, daß die Fortführung des Betriebes steuerlich nicht gefährdet wird. Diese Verpflichtung, eine verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit erbschaftsteuerrechtlich zu berücksichtigen, ist unabhängig von der verwandtschaftlichen Nähe zwischen Erblasser und Erben.

Das geltende, historisch überlieferte Erbschaftsteuerrecht beachtet dieses Erfordernis betriebsangemessener Belastung etwa bei der Besteuerung der Land- und Forstwirtschaft, wenn es dort gemäß § 36 BewG der Erbschaftsbesteuerung den Ertragswert zugrunde legt, um eine Zerschlagung dieser Wirtschaftseinheiten zu vermeiden.

II.

§ 12 Abs. 1 und Abs. 2 ErbStG ist mit Art. 3 Abs. 1 GG insofern unvereinbar, als er auf die Regeln des Bewertungsgesetzes verweist, die Kapitalvermögen (festverzinsliche Wertpapiere und Aktien) zu Gegenwartswerten ansetzen, obwohl sie den Grundbesitz in den Vergangenheitswerten des zum 1. Januar 1964 festgestellten Einheitswertes erfassen.

1. Der Gesetzgeber verfolgt mit § 12 ErbStG i. V. m. dem Bewertungsgesetz das Ziel, den steuerpflichtigen Erwerb in zeitgerecht mitschreitenden Werten zu erfassen. Soweit das Bewertungsgesetz die Verkehrswerte zugrunde legt, wird der Erwerb von Todes wegen erbschaftsteuerlich in den jeweils gegenwärtigen Marktpreisen erfaßt. Für das einheitswertgebundene Vermögen sieht das Bewertungsgesetz regelmäßige Neubewertungen vor, die für den Grundbesitz in Zeitabständen von je sechs Jahren, für wirtschaftliche Einheiten des Betriebsvermögens in Zeitabschnitten von drei Jahren festgestellt werden sollen. Entgegen dieser Konzeption des Gesetzgebers sind die Werte des einheitswertgebundenen Vermögens jedoch letztmals zum 1. Januar 1964 festgestellt worden (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom gleichen Tage - 2 BvL 37/91 - zu C.II.1. c) und d). Das Konzept des Erbschaftsteuergesetzes, der Besteuerung gegenwartsnahe Werte zugrunde zu legen, ist deshalb für das Kapitalvermögen verwirklicht, für den Grundbesitz hingegen unerfüllt geblieben.

Wenn die Erbschaftsteuer das Kapitalvermögen in Gegenwartswerten, das einheitswertgebundene Vermögen hingegen in den Vergangenheitswerten von 1964 belastet, so hat dieses deutliche Wertverzerrungen und Belastungsungleichheiten zur Folge (vgl. im einzelnen BVerfG, a. a. O., zu C.II.2. a). Das Zurückbleiben der Einheitswerte hinter den zeitnahen Werten mindert die Erbschaftsteuerbelastung des Grundbesitzes im Widerspruch zur Konzeption des Erbschaftsteuergesetzes. Insoweit ist den Erfordernissen des Gleichheitssatzes nicht genügt.

2. Bei einer Neuregelung der erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage wird der Gesetzgeber zu beachten haben, daß sich die Belastung durch die Erbschaftsteuer aus dem Zusammenwirken von Bemessungsgrundlage und Steuersatz ergibt. Deshalb sind - wie durch Art. 10 § 3 des Erbschaftsteuerreformgesetzes 1974 (BGBl I S. 933 - ErbStRG -) vorgesehen - die auf die derzeit geltende Bemessungsgrundlage anwendbaren Steuersätze (§ 19 ErbStG) an die künftige erbschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage anzupassen. Dabei beläßt der Gleichheitssatz dem Steuergesetzgeber eine weitreichende Gestaltungsbefugnis, die ihn insbesondere berechtigt, sich bei seinen Regelungen auch von finanzpolitischen, volkswirtschaftlichen oder sozialpolitischen Erwägungen leiten zu lassen. Seine Gestaltungsbefugnis endet erst dort, wo ein sachlicher Grund für die Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung fehlt (vgl. BVerfGE 74, 182 [200]).

3. Nach allem hat die Verfassungsbeschwerde Erfolg, insofern die angegriffenen Entscheidungen auf der in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang verfassungswidrigen Vorschrift des § 12 Abs. 1 und 2 ErbStG beruhen und dadurch die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzen. Diese Feststellung führt indes nicht zu einer Aufhebung der Entscheidungen der Finanzgerichte.

a) Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz führt zu einer bloßen Unvereinbarkeitserklärung, weil die Gleichheitswidrigkeit nicht zu bestimmten Folgerungen zwingt, der Gesetzgeber vielmehr mehrere Möglichkeiten hat, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 87, 153 [177 ff.]). Die Neuregelung ist bis zum 31. Dezember 1996 zu treffen. Die Erfordernisse verläßlicher Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs für Zeiträume einer weitgehend schon abgeschlossenen Veranlagung rechtfertigen es, die bisherige, mit dem Grundgesetz unvereinbare Erbschaftsbesteuerung von einheitswertgebundenem und nicht einheitswertgebundenem Vermögen für zurückliegende Kalenderjahre weiter anzuwenden.

b) Auch im laufenden Kalenderjahr ist das bisherige Erbschaftsteuerrecht weiter anzuwenden. Diese Anordnung entspricht der Regelung des Art. 10 § 3 ErbStRG, wonach Steuersätze und Freibeträge des Erbschaftsteuergesetzes für den Fall des Entfallens der Bewertung von Grundstücken zum Einheitswert von 140 v. H. nach den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1964 nur noch im laufenden Kalenderjahr Geltung beanspruchen sollen. Für die Zeit ab 1. Januar 1996 kann es bei der Regelung des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO verbleiben, die die Finanzverwaltung ermächtigt, im Falle der verfassungsgerichtlichen Feststellung der Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes mit dem Grundgesetz die Steuer auf der Grundlage dieses Gesetzes vorläufig festzusetzen. Die Erbschaftsteuer wird nicht wie die Vermögensteuer bei einem Steuerpflichtigen fortlaufend erhoben. Eine nur einmalige, vorläufige Steuerfestsetzung und ihre nachträgliche Korrektur - zum Vor- oder Nachteil des Steuerpflichtigen - ist bei Berücksichtigung der Interessen der Steuerpflichtigen ebenso wie der fiskalischen Belange tragbar und angemessen.

c) Im Falle des Beschwerdeführers obliegt es Finanzgericht und Finanzbehörden zu entscheiden, ob im Rahmen der wegen der Anwendung des Stichtagsprinzips (§ 11 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) noch ausstehenden Entscheidung über die beantragte Billigkeitsmaßnahme berücksichtigt werden kann, daß die Verfassungsbeschwerde mit den Einwänden gegen die gesetzlichen Regelungen Erfolg gehabt hat.

D.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34 a Abs. 2 und 3 BVerfGG.

E.

Diese Entscheidung ist im Ergebnis einstimmig ergangen.